Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
lauschte seinen schnellen Atemzügen.
»Ich liebe dich, Sophia«, flüsterte er.
»Ich liebe dich auch, Luke«, raunte sie zurück, während sein Gesicht ihrem immer näher kam. Ihr einziger Gedanke, als ihre Lippen sich berührten, war, dass es genau so sein sollte, für immer. Ihr Kuss wurde immer leidenschaftlicher, und als sie den Blick hob, wusste sie, dass ihr Begehren unübersehbar war. Sie wollte ihn ganz, mehr als sie jemals jemanden gewollt hatte, und nachdem sie ihn noch einmal geküsst hatte, griff sie hinter ihn und stellte die Herdplatte aus. Dann nahm sie seine Hand und zog ihn langsam hinter sich her ins Schlafzimmer.
KAPITEL 1 7
Ira
Schon wieder Abend, und ich bin immer noch hier. Eingehüllt in Schweigen, begraben von der weißen, harten Winterkälte und unfähig, mich zu bewegen.
Inzwischen habe ich über einen Tag durchgehalten. In meinem Alter und angesichts meiner Misere sollte das ein Grund zum Feiern sein. Aber ich werde schwächer. Nur meine Schmerzen und der Durst scheinen real. Mein Körper versagt, und es kostet mich meine gesamte Kraft, die Augen offen zu halten. Bald werden sie wieder zufallen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie je wieder aufschlagen werde. Ich schiele zu Ruth und frage mich, warum sie nichts sagt. Sie hat mir das Gesicht nicht zugewandt, ich sehe sie im Profil. Mit jedem Blinzeln verändert sie sich. Sie ist jung und alt und wieder jung, und ich würde gern wissen, was sie bei jeder Verwandlung denkt.
Sosehr ich sie liebe, ich muss zugeben, dass ein Teil von ihr mir immer ein Rätsel geblieben ist. Morgens, wenn wir am Frühstückstisch saßen, starrte sie oft aus dem Fenster. Ich folgte dann ihrem Blick. Wir saßen wortlos da und beobachteten die von Ast zu Ast flatternden Vögel oder die Wolken, die langsam ihre Form änderten. Manchmal musterte ich sie, versuchte, ihre Gedanken zu erraten, aber sie lächelte nur sanft und ließ mich im Unklaren.
Das gefiel mir an ihr. Mir gefiel das Geheimnisvolle, das sie unserem Leben verlieh. Mir gefiel auch unser gelegentliches Schweigen, denn es war ein angenehmes Schweigen. Ein leidenschaftliches Schweigen, das seine Wurzeln in Vertrautheit und Verlangen hatte. Ich habe oft überlegt, ob uns das von anderen unterscheidet oder ob viele Paare so etwas erleben. Es wäre traurig, wenn wir eine Ausnahme waren, andererseits habe ich lange genug gelebt, um zu wis sen, dass Ruth und ich mit einer ganz besonderen Beziehung gesegnet waren.
Und immer noch sagt Ruth nichts. Vielleicht ist sie in Gedanken ebenfalls bei unseren Tagen damals.
N ach den Flitterwochen begannen Ruth und ich, unser gemeinsames Leben aufzubauen. Ihre Eltern waren inzwischen nach Durham gezogen, und Ruth und ich wohnten bei meinen, während wir auf die Suche nach einem eigenen Haus gingen. Zwar entstanden zu der Zeit in Greensboro gerade einige neue Viertel, doch Ruth und ich wünschten uns ein Heim mit einem eigenen Charakter. Daher besichtigten wir vor allem Häuser in der Altstadt, und dort fanden wir schließlich auch ein 1886 erbautes Haus im Queen-Anne-Stil mit einem zur Straße zeigenden Giebel, einem runden Türmchen und zwei Veranden, einer vorn und einer hinten. Mein erster Gedanke war, dass es für uns viel zu groß war, so viel Platz würden wir niemals brauchen. Außerdem war es renovierungsbedürftig. Aber Ruth liebte den Stuck und die gedrechselten Geländer, und ich liebte sie. Als sie also sagte, sie überlasse die Entscheidung mir, gab ich am folgenden Nachmittag ein Angebot ab.
Während der Papierkram über das Bankdarlehen abgewickelt wurde – einen Monat später würden wir einziehen –, ging ich im Geschäft wieder an die Arbeit, und Ruth stürzte sich in ihre neue Aufgabe als Lehrerin. Ich muss zugeben, dass ich ihretwegen nervös war. Die länd liche Schule, die sie eingestellt hatte, wurde hauptsächlich von Kindern besucht, die auf Bauernhöfen aufwuchsen. Mehr als die Hälfte von ihnen wohnte in Häusern ohne fließendes Wasser, und viele trugen jeden Tag dieselbe Kleidung. Am ersten Tag kamen zwei Kinder ohne Schuhe an. Es war eine Art von Armut, wie Ruth sie vorher noch nie gesehen hatte, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf Perspektiven. In jenen ersten Monaten erlebte ich Ruth erschöpfter als je zuvor oder danach. Um Unterrichtspläne zu erstellen und sich einzugewöhnen – selbst an den besten Schulen –, braucht ein Lehrer Zeit und Erfahrung, und ich sah Ruth oft noch spätabends an
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