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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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wartete sie in der menschenleeren Halle, erfüllt von dem einzigen Wunsch, bald nach Hause zu kommen.

11
    Vika hielt den Kontakt mit der Außenwelt. Sie wusste, wie sie ein Problem anzugehen und einen Menschen einzuschätzen hatte. Sie verließ sich dabei vor allem auf ihren wachen Verstand. Wenn sie sich doch einmal getäuscht hatte, dann registrierte sie den Fehler, suchte seine Quelle und zog eine Schlussfolgerung, um ähnliche Fehler zu vermeiden. Sie war klug, zielstrebig und ausdauernd, sie übereilte nichts und tat nur das, wovon sie überzeugt war. Ruth wusste, dass ihre Schwester vernünftig war und ihrer beider Interessen niemals aus dem Blick verlor. Vika glich einem Raubvogel, der in aller Ruhe seine Kreise zog, um unversehens auf seine Beute herabzustoßen. Wer in ihre hellblauen Augen sah, fühlte sich von ihr durchschaut, es schien unmöglich und unsinnig zu sein, ihr etwas vorzumachen, so wie es unmöglich und unsinnig war, einen guten Schachspieler mit albernen Tricks zu täuschen. Sie übernahm alle Aufgaben, die im Alltag anfielen, ging einkaufen, besprach mit dem Hausmeister notwendige Reparaturen, hob Geld bei der Bank ab, beglich die Rechnungen, konsultierte den Anwalt und vereinbarte die Termine bei den Ärzten, zu denen die Schwestern regelmäßig gingen, nur um sich jedes Mal von ihnen bestätigen zu lassen, dass sie gesund seien und sicherlich hundert Jahre alt würden.
    Für einen Besuch beim Arzt verließ Ruth wider ihre Gewohnheit das Appartement, sie fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten, lief am Arm ihrer Schwester durch das marmorne Entree und stieg in ein Taxi. Sie musste keine zehn Schritte gehen.
    »Nachts stand Mutter oben am Fenster und wartete auf uns, wenn wir ausgegangen waren«, sagte Ruth. »Sie versteckte sich hinter den Gardinen.«
    »Manchmal rückte sie sich einen Sessel an das Fenster. Stunden muss sie in Erwartung unserer Rückkehr am Fenster verbracht haben.«
    Wir waren erwachsene Frauen, dachten sie. Andere Frauen in unserem Alter waren längst von zuhause ausgezogen und lebten mit ihren eigenen Familien zusammen. Aber das wollte sie nicht einsehen. Wir waren ihre Töchter, mehr nicht.
    »Sie dachte, dass wir sie dort oben nicht sehen würden.«
    »Aber wir bemerkten sie sofort«, sagte Vika.
    Wir taten so, als würden wir sie nicht sehen, dachten sie, und zuckten doch zusammen wie vor einem Gespenst.
    »Ihr Schatten …«, sagte Ruth.
    Der Schatten der Mutter hinter der Gardine war unheimlich, dachten sie. Wir stießen uns mit den Armen an und sagten leise, als könnte sie uns hören, sieh, sie ist wieder da oben, und die Freude des Abends war verflogen. In uns zog sich alles zusammen. Ein Krampf.
    »Sie stand hinter der Gardine und schaute zu uns hinunter.«
    »Wie ein Detektiv, der Verdächtige beobachtet«, sagte Ruth.
    »Sie legte es darauf an, dass wir sie sahen.«
    »Sie wollte uns ein schlechtes Gewissen machen.«
    Sie machte uns ein schlechtes Gewissen, dachten sie. Sie konnte uns nicht verbieten, abends wegzugehen. Dafür waren wir zu alt. Aber sie versuchte, uns wenigstens ein schlechtes Gewissen machen, dass wir sie allein ließen, dass wir uns nicht um sie kümmerten. Und sie schaffte es. Sie konnte nichts, aber uns eine Freude verderben, das konnte sie.
    »Sie wollte uns zeigen, dass sie wegen uns nicht schlafen konnte«, sagte Vika.
    »Dass sie wegen uns die ganze Nacht aufgeblieben war.«
    Dass sie wegen uns litt, dachten sie. Dass wir ihr Leben zerstörten. Dass sie wegen uns keinen Seelenfrieden fand. Eine sich um die Töchter sorgende Mutter. Welche Gemeinheit, welche Heuchelei. Jetzt ist sie tot. Jetzt hat sie ihren Frieden bekommen.
    »Sie gönnte uns nichts, keinen Ausflug, keine Abwechslung, keine Freude«, sagte Ruth.
    Jeden Ausflug, jede Abwechslung, jede Freude versuchte sie uns zu verderben, dachten sie. Sie war für uns Pech und Schwefel.
    »Wir sollten bei ihr bleiben, wir sollten die ganze Zeit bei ihr sitzen und ihr die Hand halten«, sagte Vika.
    Sie wollte uns zu sich herabziehen, dachte sie. In ihre Depressionen.
    »Aber wir waren jung und unternehmungslustig, wir waren nicht zu bändigen.«
    Wie ausgelassen wir waren, wenn wir nicht zuhause waren, dachte Ruth. Wir fühlten uns befreit. Als wäre uns eine ungeheure Last von den Schultern genommen.
    »Wir wollten etwas erleben. Ins Theater, ins Kino gehen, ausgehen.«
    »Wenn man jung ist, möchte man etwas erleben«, sagte Ruth. »Sehen, was das Leben noch zu bieten hat. Das ist doch

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