Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
etwas, wofür er um Vergebung bitten müsste. Setz dich.«
    Er gehorchte.
    Donna Patrizia, wie ihr Gatte sie nannte, setzte sich wieder hin und schwieg eine Weile.
    »Als meine Mutter starb«, sagte sie mit ruhiger Stimme, »rang sie noch länger mit dem Tod, aber ich war jung, hatte anderes zu tun, du warst noch ganz klein, ich nutzte dich als Vorwand, um sie nicht besuchen zu müssen, um auf Abstand zu bleiben. Jedes Mal, wenn sie mit mir über die Zukunft sprechen wollte, wenn sie einmal nicht mehr da sein würde, schnitt ich ein anderes Thema an, ich wollte es nicht wahrhaben. Ich weiß nicht, ob es ein Zeichen meiner Liebe war, einerseits schon, aber andererseits wollte ich auch nicht, dass sie mir Instruktionen gab, dass sie mir auch noch als Tote Vorschriften machte.«
    Sie schwieg einen Moment und redete dann weiter.
    »So ist das Leben, Marco. Es gibt Momente, in denen man da sein muss. Weil es richtig ist und damit basta. Alles andere ist dann zweitrangig. Glaub mir, jetzt, da ich alt bin und weiß, dass bald auch meine Zeit gekommen ist, sehne ich mich jeden Tag zurück in die Vergangenheit, ich wäre so gern noch einmal bei meiner Mutter. Nicht so sehr, weil ich ihr damit einen Gefallen täte, sondern um meinetwillen. Verstehst du, was ich meine?«
    Marco Luciani nickte.
    »Jetzt hör auf, die Tür anzustarren. Wenn du ihn heute Abend nicht sehen willst, dann geh. Aber denk an das, was ich dir gesagt habe, und versäum keine Zeit mehr.«
    |74| Der Sohn öffnete die Glastür, drehte sich um und verabschiedete sich mit einem Kuss auf ihre Wange.
     
    Er stieg ins Auto, wendete vor dem Tor und fuhr auf der zweispurigen Straße davon. Nach etwa dreißig Metern sah er am gegenüberliegenden Fahrbahnrand einen großen alten Mann, der langsam einen Fuß vor den anderen setzte, fast schlurfend. Sein Hut hatte in dieser Jahreszeit absolut nichts verloren, und auch die Jacke war viel zu warm. Er fragte sich, warum die alten Leute sich auch im Sommer so einpackten, offensichtlich spürten sie schon die Kälte des Todes, und in diesem Moment erkannte er seinen Vater, oder besser gesagt: was von ihm übrig war. Ein Häuflein aus Knochen und Stolz, das sich die Straße hinunterschleppte. Er merkte, dass er zu langsam geworden war, und als der Alte den Kopf hob, drückte er aufs Gas und rauschte davon.
     
    Der Dealer hatte schon die 23- und die 24-Uhr-Runde gedreht, hatte zweimal seinen unruhigen Schlaf gestört. Um zehn vor eins ratterte das Metallrollo des Restaurants wie eine MG-Salve über seinen Körper,
rat tat tat tat tat
, jeder Schuss ein inneres Organ: Er brauchte dreißig Sekunden, um sich von dem Schock zu erholen, und da donnerte das zweite Gitter herunter, kurz und knackig,
bang
, der Gnadenschuss. Der feiste Koch und die beiden Bedienungen, ein junger Bursche und ein Mädchen, blieben vor dem Lokal stehen, um eine letzte Zigarette zu rauchen und noch ein paar Minuten lang lautstark zu palavern, dann stiegen sie auf ihre Mofas, warfen nach einigen Fehlversuchen den Motor an, neckten sich noch eine Weile mit einem Hin und Her aus »Ciao«, »Bis morgen«, »Ciao«, »Klar«, dann preschten sie mit Vollgas in die Steigung, und das Gedröhn ihrer Auspuffrohre schien noch eine Ewigkeit in der Luft zu hängen.
    |75| Marco Luciani starrte die Decke an und dachte an seinen Vater.
    »Der Sack hat immer gemacht, was er wollte. Hat immer zuerst an sich gedacht. Vielleicht ist das auch die einzig sinnvolle Art zu leben. Aber jetzt kann er nicht erwarten, dass ich ihm beim Sterben helfe.«

|76| Mittwoch
    Giampieri
    Barbaras Vater sah aus wie jemand, der soeben seine letzte Träne vergossen hat. In seinen Augen stand unbeschreibliches Leid und der grauenhafte Anblick des Todes, der ihm diesmal die Tochter geraubt hatte, beim nächsten Mal, in nicht allzu ferner Zukunft, aber wahrscheinlich ihn selbst holen würde. In sich zusammengesunken, fast zusammengerollt hing er auf dem Sofa, während die Frau auf einem Stuhl Platz genommen und Giampieri den Sessel überlassen hatte. Sie schien stabiler zu sein, oder vielleicht war ihr noch nicht vollkommen bewusst, was eigentlich passiert war. Im übrigen hatte sie in den vergangenen Tagen, während der herzkranke Mann im Krankenhaus ruhiggestellt war, alle bürokratischen Formalitäten übernehmen müssen, die Unterschriften, die Dokumente, die Warterei auf den Ämtern, die ersten Treffen mit Staatsanwalt und Polizei. Frau Ameri hatte die Verantwortung für die praktischen

Weitere Kostenlose Bücher