Kein Schlaf für Commissario Luciani
Typen, die irgendwann die eigene Familie auslöschen.«
Iannece ging nicht darauf ein: »Es ist ein Mord geschehen. Eben hat Calabrò angerufen. Kommen Sie mit, Herr Kommissar?«
»Ich bin kein Kommissar mehr, Iannece, jetzt hör auf, mich so zu titulieren.«
»Wenn Sie es nicht mehr sind, warum haben Sie sich dann vor diesem Typen als einer ausgegeben? Sie hätten Schwierigkeiten kriegen können, wegen Amtsanmaßung.«
Marco Luciani schnaubte: »Formell bin ich es noch. Ich zehre gerade meinen Resturlaub auf, bis ich weiß, was aus meinem Rücktrittsgesuch wird. Aber praktisch gesehen bin ich es nicht mehr. Außerdem warst du es doch, der mich Kommissar genannt hat!«
»Ich weiß, aber das kommt ganz spontan. Ich kann Sie ja schlecht Doktor Luciani nennen, als ob Sie Arzt wären.«
|18| »Meinetwegen, Iannece, nenn mich, wie du magst, aber sag mir, was du eigentlich von mir wolltest.«
Sein Gegenüber senkte den Blick.
»Also?«
»Nun, also … Sie sind gegangen, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich hab mir Sorgen gemacht. Seit einer Woche suche ich Sie, Sie gehen nicht ans Telefon, zu Hause sind Sie auch nie … also habe ich sehen wollen, ob Sie zufällig hier sind und trainieren. Da oben sind Sie an mir vorbeigerannt, ohne mich wahrzunehmen, also bin ich volle Pulle hinter Ihnen her, hab geschrien, aber Sie hörten mich nicht.«
»Ich hatte Kopfhörer auf. Tut mir leid.«
Er bückte sich, um den Discman und die Batterien aufzulesen. Bekümmert betrachtete er die zerstörte Lade.
»Ich kaufe Ihnen einen neuen, Herr Kommissar.«
»Vergiss es, Iannece. Und nenn mich nicht Kommissar. In drei Wochen bin ich es nicht mehr.«
Er hob den Blick und sah, dass sein Chauffeur und Mädchen für alles dabei war, rührselig zu werden. Um ihm die peinliche Situation zu ersparen, wandte er sich grußlos ab und begann, Richtung Bigo zu traben, während sein Knie bei jedem Schritt aufjaulte.
»Das heißt, Sie werden nicht zurückkommen, Herr Kommissar?«, schrie ihm Iannece hinterher. Aber Marco Luciani war schon außer Rufweite.
Der Ingenieur wollte zur Kasse gehen und bezahlen. Amalia rief ihn zurück.
»Entschuldige …«
»Ja?«
»Was meintest du wegen Freitag?«
Er schaute sie einen Augenblick verständnislos an, dann erinnerte er sich plötzlich an das Konzert. Aber auch an |19| den Mord. Würde er am Freitag Zeit haben? Er hatte vier Tage, sechsundneunzig Stunden, um einen Mörder zu fassen. Und weitere achtundvierzig Stunden, vielleicht weniger, um die anmutige zweiundzwanzigjährige Schönheitspflegerin, deren Brüste gen Himmel strebten und bei der sich an Stelle des Gehirns ein Windkanal befand, von hinten zu nehmen. Er hatte sie im Fitnessstudio kennengelernt, und nachdem er sie auf dem Dreadclimber gesehen hatte, wusste er, dass er keinen Frieden finden würde, ehe sie die Übung nicht gemeinsam wiederholt hätten.
»Ach ja, Freitagabend … Da gibt’s ein Konzert in Sestri Levante … ›Baustelle‹.«
Sie lächelte, ohne zu antworten.
»Die Band ist stark. Ich habe zwei Karten«, log er.
Sie lächelte immer noch.
»Und am Freitag bin ich meinen Kinnbart los. Was hältst du davon?«
»Ehrlich gesagt, habe ich schon was vor, aber wenn du in den nächsten Tagen mal vorbeikommst, sage ich dir, ob ich mich freimachen kann.«
Sie drehte sich um, warf ihm über die Schulter einen verschmitzten Blick zu und genoss die Wirkung, die der Hollywood-Schwung, den ihr perfekter Hintern in die Luft zeichnete, auf ihn ausübte.
Jetzt ist es zu spät, um sich zu zieren, dachte Giampieri, während er an der Kasse Solarium, Maniküre und Kopfmassage bezahlte. Vierzig gut angelegte Euro, dachte er lächelnd. Um genau zu sein, waren es schon hundertzwanzig: Er hatte drei Sitzungen gebraucht, um sie anzufüttern, aber Amalias Blick, mit dem sie seine Einladung quittierte, hatte keinen Zweifel gelassen. Am Ende hatte sogar sie noch einmal nachgehakt, um ins Konzert eingeladen zu werden. Und das war gerade so, als hätte sie ihren zarten Hals auf den Hackklotz des Henkers gelegt.
|20| Montag
Giampieri
Iannece wartete im Auto auf ihn, bei laufendem Motor. Dies waren seine heroischen Momente, wenn er als Rennpilot alle Register ziehen konnte und fluchend, mit Martinshorn und quietschenden Reifen, zwischen den Bussen Slalom fahren durfte. Noch bevor Giampieri den Sicherheitsgurt anlegen konnte, wurde er von einem Blitzstart in den Sitz gedrückt und in ein Videospiel katapultiert, bei dem die Straße zu beiden
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