Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
zurückkehrte, waren die Teller abgeräumt und die Gläser gefüllt. Tom sah mir aufmerksam entgegen.
»Alles in Ordnung? Du warst so lange weg.«
Ich hob die Augenbrauen. »Selbst wenn, dann sagt man das nicht. Natürlich ist alles in Ordnung.«
»Wie lange machst du eigentlich hier die Vertretung für deine Freundin?«
»Noch zwei Wochen.« Meine Antwort erfolgte prompt, ich hatte sie mir schon auf dem Klo überlegt. »Dann kommt Marleen zurück.«
Ich suchte nach einer Regung in seinem Gesicht, aber er nickte nur.
»Und danach bist du wieder in Hamburg?«
»Ja.« Ich griff doch zum Weinglas, obwohl ich mir vor dem Spiegel vorgenommen hatte, ab jetzt Wasser zu trinken. »Wieso?«
Er schob seinen Oberkörper nach vorn und stützte das Kinn auf die Hand. »Dann können wir uns ja mal sehen.«
Irgendetwas in seiner Stimme verursachte Gänsehaut. Im Gegenzug trank ich das Glas leer. Als ich den Kopf schräg legte, wurde
mir schwindelig.
»Natürlich nur, wenn du willst.« Tom hatte sehr lange Wimpern, seine Lippen glänzten vom Wein, die widerspenstige Locke hing
immer noch in die Stirn, und er schaute mich unverwandt an. »Es wäre schön.«
Wenn er mich jetzt fragen würde, ob ich mit ihm schliefe, würde ich sofort Ja sagen. Aber er fragte nicht, stattdessen bestellte
er neuen Wein.
Was hatte ich überhaupt für Gedanken? Spätestens jetzt wurde mir klar, dass ich bereits ziemlich betrunken war. Anstatt mich
mit Marleen, Guntram Bernd, meinen Eltern oder Johann zu befassen, betrank ich mich mit einem Mann, in den ich vor dreißig
Jahren furchtbar verliebt gewesen war, der sich an mich aber nur schwach erinnern konnte, und wollte sogar mit ihm ins Bett.
Was war nur los? Meine Schwester knutschte mit dem blödesten Gast, und ich gab meine serielle Monogamie auf. Alles wegen Gunilla
Hagestroem. Und weil Marleen nie nach Hiddensee fuhr.
Ich versuchte, diesem Gedankenknäuel zu entfliehen und mich auf das zu konzentrieren, was Tom gerade erzählte. Allerdings
hatte ich den Anfang verpasst.
»… und dann rief sie mich eines Nachts an und hatte eine Frauenstimme am Telefon.«
Elektrisiert fuhr ich hoch. »Wer?«
»Na, Beate eben. Und Katrin war ans Telefon gegangen.«
Vorhin fand ich seine Augen glänzend, jetzt waren sie eherglasig. Und er hatte »Beadde« gesagt. Und »Telfon«. Zum Glück war ich nicht allein betrunken. Deshalb nickte ich zufrieden.
»Das ist mir auch schon passiert. Genau so. Echt blöd.«
Tom nickte langsam und bekümmert. »Aber ich hatte ihr gesagt, dass sie mit mir nach Hamburg kommen soll. Sie wollte nicht.
Sie wollte in Köln bleiben. Ja, und Katrin war auch dauernd abends alleine. Das ist einfach so passiert.«
Ich tätschelte lächelnd seine Hand. »Man geht aber nicht an ein fremdes Telefon.«
»Sie hat mich verlassen.«
»Katrin?«
Traurig sah Tom mich an. »Beate. Ich habe einen einzigen Pullover behalten. Den hier. Aus vierzehn Jahren. Den hat sie mir
mal gestrickt. Mehr nicht.«
»Der ist aber nicht schön.« Meine Zunge war jetzt sehr schwer, Tom hatte mich nicht richtig verstanden.
»Doch, sie ist schön. Sie ist jetzt aber weg. Christine?«
Er führte sein Glas umständlich zum Mund und trank. Ich hielt nach wie vor seine Hand.
»Ja?«
»Würdest du was mit mir anfangen?« Er sah überhaupt nicht mehr aus wie George Clooney. Nur noch wie Tom.
»Jetzt sofort?«
»Warum denn nicht? Dein Freund ist doch auch weg. Und wir sind hier.«
Er schloss nach diesem Angebot die Augen und lächelte betrunken vor sich hin.
Ich dachte kurz an die Schlampe Gunilla und bemühte mich, die Rechnung zu ordern, ohne allzu sehr zu lallen.
Zehn Minuten später torkelten wir mit Rückenwind auf der Promenade nach Hause. Wir bemerkten nicht einmal, dass es immer noch
in Strömen regnete.
Die Stimme meiner Schwester weckte mich: »Christine, hast du den Wecker … Oh, Entschuldigung.« Die Tür klappte wieder zu.
Ich wollte mich aufsetzen, konnte mich aber nicht bewegen. Eine Zentnerlast drückte mich in die Matratze. Langsam öffnete
ich die Augen und sah etwas Dunkelblaues. Und dahinter etwas Graues. Sofort war ich wach. Mit aller Kraft schob ich Toms Arm,
der mich umschlungen hielt, zur Seite und zog mein Bein aus Toms Beinschere heraus.
»Hey.« Ich schüttelte ihn erst sanft, dann energisch. »Tom, wach auf.«
Ein leises Grunzen signalisierte wenigstens, dass er die Nacht überlebt hatte.
»Tom. Beweg dich doch mal.«
Mein Bein war
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