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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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gewünscht, mit denen sie spielen konnte.
Jetzt wünschte sie sich, es gäbe noch jemanden, mit dem sie sich die Last
teilen konnte, wenn ihre Mutter alt wurde. Sie wagte gar nicht daran zu denken,
was geschehen würde, wenn ihre Mutter hilflos und senil würde. Wie konnte sie
in Betracht ziehen, ihrem Sohn eine ähnliche Bürde aufzuerlegen oder sogar eine
noch größere, weil er, wie Stephen gesagt hatte, auch noch der einzige Enkel
war? Aber ich werde nicht wie Margaret sein, versprach sie sich selbst, und
versuchte den Gedanken daran und an alle Probleme, die sich daraus ergaben, zu
verdrängen.
    »Ich gehe runter zum Strand«,
verkündete sie, löste sich von seinem Arm und lief davon.
    Der Wind wehte ihr das Haar aus dem
Gesicht und machte sie ganz taub. Das Knirschen von Kies unter den Füßen und
der Geruch von Seetang und Salz gaben ihr das Gefühl, am liebsten in das
trübgrüne, gischtige Meer zu rennen und alle Ängste wegzuwaschen, mit denen ihr
Kopf bis zum Rand gefüllt war. Sie jagte eine Welle den Strand hinunter und
kämpfte sich ein Riff hinauf, als eine größere, bessere sich vor ihren Füßen
überschlug und ihre Jeans und Stiefel durchnäßte. Stephen stand neben einer
blaßrosa Strandhütte und beobachtete sie lächelnd, als sie herumwirbelte und in
den Wind schrie.
     
    Am ersten Weihnachtstag gingen sie
nach dem Morgengottesdienst in der Dorfkirche immer über die Felder zurück. Der
arme Ed gehörte noch nicht so lange zur Familie, deshalb fühlte er sich
verpflichtet, sich höflich die Hundeanekdoten ihrer Mutter anzuhören. Ein paar
Schritte vor ihnen gingen Ginger und Pic Arm in Arm langsam den Reitweg
entlang. Pic schob den Kinderwagen. In der Ferne marschierte ihr Vater voran.
Er hatte sein Tempo noch nie anderen anpassen können. Ginger erinnerte sich an
die vielen Male, die sie schnaufend versucht hatte, mit ihm Schritt zu halten,
und wie sie einmal, als sie noch sehr klein war, hingefallen war und sich am
Knie verletzt hatte. Sie hatte »Bitte warte auf mich, Daddy« gerufen, aber in
seiner Eile hatte er sie nicht gehört.
    Es gab noch ein paar Hagebutten, die
sich an den Rosensträuchern festklammerten, und ein paar frühe Schneeglöckchen
unter der Hecke.
    »Wenn wir so weitermachen, müssen wir
das Mittagessen in zwei Schüben servieren«, sagte Ginger zu ihrer Schwester,
als sie stehenblieben und über die gepflügten Felder blickten, die vom Frost
vereist waren. Sie schauten zu dem herrschaftlichen Haus hin, in dem sie
aufgewachsen waren. Es leuchtete blaßgolden in der kühlen Wintersonne. »Daddy
hat noch keinen Ton mit mir gesprochen, seit wir angekommen sind.«
    »Ist dir je in den Sinn gekommen«,
fragte Pic vorsichtig, »daß ihr euch sehr ähnlich seid?« Sie brach einen
Stechpalmenzweig ab, an dem eine üppige Beerentraube hing.
    »In welcher Beziehung?« forderte
Ginger sie heraus, sofort wütend geworden.
    »Na ja, ihr seid beide so stur und
unversöhnlich...«
    »Aber ich bin nicht boshaft und
gemein!« sagte Ginger.
    »Nein, aber ich bezweifle, daß er das
von sich denkt. Ihr seid beide so überzeugt von euch selbst, und ihr seid beide
so stolz...«
    »Ich wünsch dir auch Frohe
Weihnachten.« Ginger stürmte davon.
    »Ach, sei doch nicht so«, rief Pic
hinter ihr her. Auf dem holprigen Pfad war es unmöglich, den Kinderwagen
schnell zu schieben. »Du weißt doch, daß ich dich am liebsten habe«, sagte sie,
als sie Ginger einholte, hakte sich bei ihr ein und sah besorgt in ihr Gesicht.
Aus beiden Augen rannen Tränen. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Dann nimm es zurück. Sag, daß ich
nicht so bin wie Daddy«, verlangte Ginger.
    »In vielerlei Hinsicht bist du es
nicht...«
    »Aber in anderer schon?« Ginger
seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht... Ich weine übrigens nicht deshalb«,
fügte sie hinzu. Sie hatte emotionale Erpressung noch nie lange durchhalten
können, selbst bei ihrer leicht beeinflußbaren Schwester nicht.
    »Warum denn dann?« fragte Pic besorgt.
    »Weil mein Leben total verkorkst ist.
Deshalb... Mit dem Stolz hast du recht. Ich war zu stolz, ihre finanzielle
Unterstützung anzunehmen, und jetzt muß ich wieder arbeiten und habe keine
Ahnung, was ich mit Guy machen soll.«
    »Hast du mal daran gedacht, die
Wohnung zu verkaufen und dir eine kleinere zuzulegen? Sie ist zwar ganz hübsch,
mit den dunklen Möbeln, den Kronleuchtern und allem, aber auch ein bißchen
unpraktisch, nicht wahr?«
    Pic lebte in einem neogeorgianischen
Wohnhaus

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