Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
Inszenierung ist, das haben wir ja schnell vermutet. Ich hatte auch sofort das Gefühl, als hätte ich diesen Tatort schon mal gesehen. So wie ein Déjà-vu.«
Die Kollegen wurden unruhig. Drossel fuhr schnell fort.
»Das hat mir keine Ruhe gelassen. Und jetzt weiß ich auch endlich, was da inszeniert, richtiger re-inszeniert wurde. Und zwar der Mord an Brigitte Schuster aus dem Jahr 1992.«
Die anderen sahen ihn fragend an, offensichtlich konnte keiner etwas mit dem Namen anfangen.
»Brigitte Schuster war die Ehefrau von Arwed Schuster. Der Täter wurde nie gefasst, aber es fand sich am Tatort ein Bekennerschreiben der RAF .«
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Kindler. »Ich vermute, die Kollegen auch?«
Die anderen drei nickten. Drossel fuhr fort.
»Schuster war einer der führenden RAF -Jäger der achtziger Jahre. Der Tatort ließ keinen Widerspruch zu der Vermutung erkennen. Schuster sollte an dem Tag eigentlich dienstfrei haben und musste überraschend nach Brüssel reisen. Die Terroristen«, Drossel setzte »Terroristen« akustisch in Gänsefüßchen, »könnten also einfach spontan beschlossen haben, dass es auch die erwünschte Wirkung hat, die Ehefrau zu töten statt des Vertreters des Systems. Bei dieser zwoten und dritten Generation RAF kannte sich doch auch keiner mehr aus.«
Drossel trank wieder. Die Kollegen waren aufs Äußerste gespannt.
»Der Kreideumriss und die Schüsse darauf entsprechen exakt dem Tatort in Köln damals. Wir haben den Fall mal bei einem Seminar besprochen, und ich hatte davon noch Unterlagen. So. Die Waffe in Celiks Hand hat Celik nicht abgefeuert. Die wurde ihm entladen in die Hände gedrückt und diese dann so mit Tape umwickelt, dass er sie auf keinen Fall loslassen konnte. Dazu das Namensschild. Das alles zusammen lässt für mich nur einen Schluss zu: Der Täter hier will uns mitteilen, dass er Schuster für den Mörder seiner Frau hält.«
Kindler, Grewe, Therese und Kertsch waren mucksmäuschenstill.
»Bei diesem Seminar hat der damalige Leiter der Kölner Spurensicherung die Geschichte vorgestellt. Er hat abends beim Bier durchblicken lassen, dass er nie ernsthaft an die RAF -Lösung geglaubt hat. Die ganzen Geheimdienstler seien hochnervös und absolut unkooperativ gewesen. Die Ermittlung sei binnen Stunden beim BKA gelandet, und sie hätten noch nicht mal einen Abschlussbericht von denen gesehen. › RAF ‹, hatte der immer so hämisch gesagt, ›die gab es doch damals gar nicht mehr‹.«
Sie schwiegen eine Weile. Kindler zog Drossels Unterlagen zu sich und blätterte darin. Dann legte er sie wieder zurück auf den Tisch.
»Was bleibt uns? Wir haben vorerst nichts, was uns zu dem Täter im Haus Celik führt, oder?«
Drossel schüttelte den Kopf.
»Sie bereiten das«, Kindler zeigte auf die Akte, »für einen Bericht auf, wir gehen es alle gemeinsam durch und übergeben an die Kollegen vom LKA Düsseldorf. Die müssen sich damit befassen. Wir haben eine bundesweite dringende Fahndung nach Sandy Löbkow laufen.« Kindler sah alle anderen an.
»Sonst etwas?«
Sie schüttelten die Köpfe.
Regen schlug gegen die Fenster von Kindlers Büro.
Es war einer von diesen Tagen.
Am Freitag ging ein Gewitter über dem Rheinland nieder. Köln ertrank unter schwarzen Wolken.
Arwed Schuster saß an seinem Schreibtisch und starrte in die Düsternis draußen. Grüner Tee dampfte in einer gusseisernen japanischen Schale.
Es klopfte.
»Herein.«
Natürlich er. Wer sonst? Dass er überhaupt noch klopfte, war fast schon eine Provokation.
Der junge Mann, den er so geschätzt, aber auch unterschätzt hatte, schloss die Tür hinter sich. Setzte sich Schuster gegenüber. Legte einen dünnen Aktendeckel vor sich auf den Schreibtisch und schlug dann die Beine übereinander.
»Da bin ich, Herr Schuster.«
Schuster nickte.
»Ohne Umschweife. Das LKA Düsseldorf hat mich angerufen. Man will mich vernehmen.«
»Ach. Nicht die … Kollegen aus der Provinz?«
»O doch, die auch, das wissen Sie genau. Die möchten auch gerne wissen, warum wir hinter den Mördern ihrer Kollegen herfahren, ohne etwas zu unternehmen, und warum eine unserer Beamtinnen dann auch noch selbst einen Polizisten erschießt und auf ihrem Dienst-Laptop Sexfotos von sich und dem Beamten speichert, die ihr Teamkollege gemacht hat. Doch. Das interessiert die schon.«
Schuster trank in kleinen Schlucken von seinem Tee.
»Das LKA untersucht den Mord an meiner Frau neu. ›Neue Erkenntnisse‹ hieß es
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