Keine zweite Chance
Terrorismus. An zweiter bis zehnter, na ja, Terrorismus. Mit dem Seidman-Fall hatte er sowieso nur zu tun gehabt, weil es sich um eine Entführung zu handeln schien. Im Gegensatz zu dem, was man im Fernsehen sieht, ist die örtliche Polizei meist sehr an einer Beteiligung des FBI interessiert. Die haben die Mittel und das Know-how. Wenn man sie zu spät ruft, kann das Menschenleben kosten. Regan war klug genug gewesen, nicht lange zu warten.
Doch als die Sache mit der Entführung dann – und er hasste es, dieses Wort dafür zu verwenden – geklärt war, bestand Tickners Arbeit (zumindest inoffiziell) vor allem darin, sich zurückzuziehen und den Fall der örtlichen Polizei zu überlassen. Er ging ihm noch oft durch den Kopf – den Anblick eines Babystramplers in so einer Hütte vergisst man nicht so schnell –, aber er hatte sich keine weitergehenden Gedanken darüber gemacht.
Bis vor fünf Minuten.
Zum dritten Mal las er den kurzen Bericht. Er versuchte nicht, daraus schlau zu werden. Dafür war das Ganze zu schräg. Er suchte
nach irgendeinem Anhaltspunkt, nach irgendeinem Dreh, der ihn weiterbrachte. Ihm fiel nichts ein.
Rachel Mills. Was hatte die damit zu tun?
Ein junger Untergebener – Tickner konnte sich nicht merken, ob er Kelly oder Fitzgerald hieß, auf jeden Fall war es irgendwas Irisches – stand vor seinem Schreibtisch und wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Tickner lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Er klopfte mit dem Kugelschreiber an seine Unterlippe.
»Es muss eine Verbindung zwischen ihnen geben«, sagte er zu Sean oder Patrick.
»Sie hat sich als Privatdetektivin ausgegeben.«
»Hat sie eine Lizenz?«
»Nein, Sir.«
Tickner schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter. Überprüfen Sie die Telefonrechnungen, treiben Sie irgendwelche Freunde auf, und so weiter. Gehen Sie’s für mich durch.«
»Ja, Sir.«
»Und rufen Sie noch mal bei dieser Detektei an. MVD. Sagen Sie denen, ich bin unterwegs.«
»Ja, Sir.«
Der irische Junge ging. Tickner starrte ins Leere. Er hatte zusammen mit Rachel seine Ausbildung in Quantico absolviert. Sie hatten denselben Mentor gehabt. Tickner überlegte, was er jetzt tun sollte. Er vertraute bei weitem nicht allen Beamten bei den örtlichen Polizeidienststellen, aber Regan mochte er. Er war gerade so schräg, dass er eine Hilfe sein könnte. Er nahm den Hörer ab und wählte Regans Handynummer.
»Detective Regan?«
»Lange nichts von Ihnen gehört.«
»Ah, FBI-Agent Tickner. Tragen Sie immer noch Ihre Sonnenbrille?«
»Kraulen Sie sich immer noch den Unterlippenbart – äh, nebst ein paar anderen Dingen?«
»Ja. Und vielleicht.«
Tickner hörte Sitar-Musik im Hintergrund. »Sind Sie beschäftigt?«
»Absolut nicht. Ich habe meditiert.«
»Wie Phil Jackson?«
»Genau. Nur diese verdammten Meisterschaftsringe habe ich nicht. Sie sollten mir mal Gesellschaft leisten.«
»Ja. Das schreib ich mir auf die Liste der Dinge, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen darf.«
»Sie wären auf jeden Fall entspannter, Agent Tickner. Ich höre gewaltigen Stress in Ihrer Stimme.« Dann fuhr er fort: »Ich vermute, Sie haben einen Grund, mich anzurufen.«
»Erinnern Sie sich noch an unseren Lieblingsfall?«
Nach einer seltsamen Pause antwortete Regan: »Ja.«
»Seit wann haben wir keine neuen Erkenntnisse mehr dazu?«
»Ich glaube, wir hatten noch nie irgendwelche neuen Erkenntnisse.«
»Nun, vielleicht haben wir sie jetzt.«
»Ich höre.«
»Wir haben gerade einen eigenartigen Anruf von einem ehemaligen FBI-Agenten bekommen. Der Mann heißt Deward und arbeitet in Newark als Privatdetektiv.«
»Und?«
»Wie es aussieht, hat unser Freund Dr. Seidman ihm heute einen Besuch abgestattet. Und er hatte eine ganz spezielle Freundin dabei.«
Lydia färbte sich die Haare schwarz – um in der Nacht nicht so aufzufallen.
Der Plan war äußerst simpel.
»Wir versichern uns, dass er das Geld hat«, erklärte sie Heshy. »Dann bring ich ihn um.«
»Sicher?«
»Hundertprozentig. Und das Schöne daran ist, dass der Mord automatisch mit dem ursprünglichen Überfall in Verbindung gebracht wird.« Lydia lächelte ihm zu. »Selbst wenn was schief geht, wird man uns nicht damit in Verbindung bringen.«
»Lydia?«
»Ist was?«
Heshy zuckte die gewaltigen Schultern. »Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich ihn umbringe?«
»Ich schieße besser, Pu Bär.«
»Aber …«, er zögerte, zuckte noch einmal die
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