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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sie loszuwerden.
    Saschas einzige Leidenschaft waren Autos. Über Autos wußte er alles, er konnte mit geschlossenen Augen jeden Schaden finden
     und beheben, er war ein ausgezeichneter Fahrer, bekam aber wegen seiner Krankheit keinen Führerschein.
    Auch die Krankenschwester Angela hatte eine Leidenschaft.
    In ihrer frühen Jugend hatte sie einen stillen, netten Ingenieur geheiratet, den sie sehr liebte. Der Ingenieur liebte sie
     ebenfalls, und alles hätte wunderbar sein können, wäre nicht die böse Schwiegermutter gewesen, die sich geschworenhatte, die vollkommen unschuldige Schwiegertochter zu vergraulen. Der gegenseitige Haß der beiden im Grunde nicht bösartigen,
     gescheiten Frauen wuchs von Tag zu Tag, erfüllte den gesamten Raum der kleinen Zweizimmerwohnung und nahm dem stillen Ingenieur
     die Luft zum Atmen. Er liebte alle beide, war hilflos und starb mit dreißig an einem Herzinfarkt.
    Seine Mutter und seine Frau, die beide von seinem schwachen Herzen gewußt hatten, vergifteten sich anschließend das Leben
     mit gegenseitigen Anschuldigungen: Du bist schuld, du hast ihn umgebracht.
    Seitdem suchte Angela leidenschaftlich nach einer Waise. Es sollte eine Vollwaise sein, ohne Mutter, Vater, Tanten und Onkel.
     Sie beobachtete den gutaussehenden, alleinstehenden Automechaniker Sascha Sergejew, der nur zu einem Zweck in die psychiatrische
     Betreuungsstelle kam – die Revision seiner Diagnose zu erwirken –, las aufmerksam seine Krankenakte und wußte: Er war genau
     der, den sie suchte.
    Sascha war von Geburt an Waise, seine Mutter war bei der Geburt gestorben. Weitere Verwandte besaß er nicht. Auch keine Frau
     und keine Kinder. Was die Diagnose anging, so wußte Angela, die zu der Zeit schon acht Jahre in der Betreuungsstelle arbeitete,
     daß sie durchaus revidiert werden konnte. Aber einfach so würde das niemand tun.
    Sascha schmierte die Ärzte ungeschickt. Er wußte nicht, wem er etwas geben mußte, und vor allem nicht – wieviel. Angela wußte
     es. Die Diagnose wurde revidiert. Sascha bekam einen Führerschein. Und Angela und er zogen zusammen.
    Trotz der lang anhaltenden Saufperioden war der Wodka nicht das Wichtigste in Saschas Leben. Das Wichtigste, das, was er am
     meisten liebte, waren Autos. Sein größter Traum war ein mattglänzender silberner Ford, der wie ein Vogel über die Schlaglöcher
     und den Schmutz der Moskauer Vorortstraßen flog. Dieser Traum ließ ihn nicht endgültig zumTrinker werden. Aber er wußte, daß er soviel Geld nicht mit einemmal verdienen konnte.
    »Du mußt klauen«, sagte Angela. »Sei doch nicht blöd. Alle, die einen Ford fahren, klauen.«
    Das hätte Sascha ja gern getan, aber es gelang ihm irgendwie nicht. Erstens hatte er Angst. Zweitens wollte er wenn schon,
     dann gleich richtig was riskieren, damit es sich lohnte und man sich nicht ärgerte, falls man erwischt wurde. Derartige traurige
     Grübeleien trieben ihn erneut zur Flasche. Wenn er wieder nüchtern wurde, schwor er sich voller Abscheu, das sei das letztemal
     gewesen. Notorische Trinker fuhren keinen Ford.
    An nüchternen Tagen lauschte Sascha auf die Gespräche seiner Kunden, von denen manche einen Ford fuhren oder gar einen Mercedes
     und andere gute Wagen. Den Unterhaltungen entnahm Sascha: Je toller das Auto, desto weniger arbeitete sein Besitzer. Diese
     merkwürdige Gesetzmäßigkeit versetzte ihm einen Stich ins Herz und ließ ihn erneut zur Flasche greifen.
    Dann tauchte eines Tages bei ihm zu Hause ein alter Freund aus der Heimkindheit auf, Kolja Koslow, Spitzname Skwosnjak. Sascha
     hing mit ganzem Herzen an ihm. Er freute sich unbändig über seinen Besuch, er wußte vor Begeisterung gar nicht, wo er ihn
     hinsetzen und was er ihm anbieten sollte.
    Skwosnjak trank und rauchte nicht. Er erzählte nichts von sich, doch Sascha spürte: Seine innere Kraft hatte mit den Jahren
     nicht nachgelassen. Im Gegenteil. Nein, er trug keine Rolex, keine Brillantringe, keine goldene Kette und kein himbeerrotes
     Jackett – er war mit einem Niwa gekommen, einem soliden, aber bescheidenen Wagen.
    »Von wem von unseren Leuten weißt du noch?« fragte Skwosnjak.
    »Mancher fault im Irrenhaus vor sich hin, andere sind schon verfault«, antwortete Sascha achselzuckend. »Ichweiß es nicht und will’s auch nicht wissen. Ich habe mein eigenes Leben.«
    »Hast du mal was von Tolja Tschuwiljow gehört?« fragte Skwosnjak.
    »Tolja hat eine Schlosserlehre gemacht, dann haben wir uns aus den Augen

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