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Keinesfalls Liebe (German Edition)

Keinesfalls Liebe (German Edition)

Titel: Keinesfalls Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoi Karampatzaki
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anzuschauen – ich würde seine Seele sehen, nackt und sehr verletzlich, nein, verletzt . Ich spürte das unkontrollierbare Beben seines Körpers hinter mir, und ich drehte mich um.
    Ich hatte wirklich viel erlebt in San Bernardino. Ich hatte viel gesehen und gehört und erlebt, das mir inbrünstige, brennende Angst eingejagt hatte. Ich hatte Angst gehabt um mein Leben und das meiner neuen Freunde; ich hatte mir ausgemalt, wie mein Halbbruder völlig verdreht, zermatscht von einem Auto, auf der Straße lag und wie Carlos von Blut und Gehirnmasse bespritzt wurde. Keiner dieser Schrecken kam an die überwältigende Offenheit heran, von der ich gerade Zeuge wurde. Ich sah alles von Daniel. Doch ich hütete mich, das auszunutzen.
    Ich weiß nicht mehr, wie ich es schaffte, Daniel aus seinem paralysierten, einem Wachkoma gleichenden Zustand herauszureißen, bis sein dunkler Blick nicht mehr auf die Vergangenheit, sondern auf mein Gesicht gerichtet war; bis er mir erlaubte, ihn zu umarmen, ihn an mich zu drücken und die Decke über uns zu ziehen; bis er weinte – und sich von mir trösten ließ.

Wir saßen mindestens eine Stunde lang so da, nackt, aneinander geschmiegt, er weinend und ich sein Tröster. Mir war auch nach Weinen zumute, aber ich musste stark sein. Für ihn. Für den Mann, den ich liebte.
    Mir war das rechte Bein eingeschlafen, doch ich rührte mich nicht. Ich verharrte mit Daniel in dieser Position, lange, länger und noch länger, bis sein Beben nachließ und er nur noch träge an mir lehnte, das Gesicht nass und heiß an meinem Hals vergraben, sein Atem schwer und rasselnd, als würde er gerade sterben.
Ich löste mich halb von ihm, fasste nach meiner Jeans zu unseren Füßen, zog eine Packung Taschentücher heraus und hielt ihm schließlich sanft eines an die Nase. Er schnäuzte sich laut und kräftig. Alles an dieser Situation rührte mich und machte mich unsagbar traurig.
    „Komm“, flüsterte ich, „komm, wir ziehen dich an, komm, Daniel.“
Ich half ihm dabei, in seine Kleidung zu schlüpfen; er bewegte sich kaum und für mich wurde es zu einem Kraftakt.
Daniel war wieder da. Er war traurig und berührungsscheu, aber er vertraute mir. Wirklich. Er vertraute mir tatsächlich seine nackte, verletzte Seele an.
    Ich steckte ihn unter die Dusche – das Bad war verschwenderisch luxuriös – und kümmerte mich um den Schokobrunnen und das Liebesnest. Das Kerzenlicht wich dem von Lampen; auch sie strahlten in gemütlichem, warmen Gold.
Danach inspizierte ich die Küche. Es gab einen recht vollen Kühlschrank und eine angrenzende Vorratskammer – genug Essen und Trinken, um Wochen, wenn nicht Monate hier oben zu überleben.
    Als ich wieder nach oben in die zweite und letzte Etage ging, wo Daniel duschte, hörte ich das Wasserrauschen, wie er sich schnäuzte, räusperte und weiter duschte. Er schien nicht mehr in Trance zu sein, wenigstens das. Trotzdem – im Moment war er hilflos wie ein Kind. Und ich würde mich um ihn kümmern. Er brauchte mich.
    Neben dem Bad gab es auf dieser Etage drei Zimmer. Sie waren kalt, konnten aber zum Glück eine Heizung vorweisen, und schlicht, mit je einem Tisch und Stuhl, einem großen Doppelbett und einem Schrank. Eines war dekoriert; das musste Georges Schlafzimmer sein. Auf dem Nachttisch stand ein Bild von Daniel, das höchstens ein paar Jahre alt war, und daneben das eines ungefähr zehnjährigen Kindes mit Daniels Augen. Ich machte, dass ich raus kam.

Allein in der Welt

    Als Daniel müde und tropfend den Kopf in die Küche steckte, hatte ich das Abendessen gerade fertig. Es traf mich wie eine Ohrfeige, dass sein Haar kurz geschoren war. Ich schätzte die Länge auf höchstens einen Zentimeter. Es schmeichelte seinem ohnehin schönen Gesicht und ließ ihn deutlich härter, männlicher wirken. Ich lächelte ihn an, und sein Blick schnellte von dem Essen zu mir.
    „Spaghetti mit Tomatensoße?“, fragte er.
    Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. „Ähm. Das magst du doch, oder?“
    „Klar.“ Er verschwand ins Wohnzimmer. „Danke, dass du gekocht hast.“
    „Hab ich gern gemacht. Ich bin gleich soweit.“ Ich verteilte Nudeln und Soße in großen Portionen auf zwei Teller und folgte Daniel. Zu meiner Überraschung hatte er Gabeln, Messer und Servietten auf den Tisch gelegt.
    „Oh, danke.“
    „Kein Problem.“ Er rieb sich kurz über das Gesicht und über die schon fast trockenen Haare, bevor er sich an mir vorbeischob, in die Küche ging und mit

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