Keltengrab: Thriller (German Edition)
schief hing. Es handelte sich um die Kohlezeichnung eines schneebedeckten Dorffriedhofs, sie trug die Jahreszahl 1896 und die Signatur Peter Hunt, den ich inzwischen als meinen Urgroßvater akzeptiert hatte.
Die Darstellung der Kirche, die einsam und verlassen auf einem Hügel in der Winterlandschaft stand, und der Grabsteine im Schneetreiben hatte mich als Kind stark beeindruckt. Aber als ich das Bild wieder gerade rückte, wurde mir bewusst, dass ich es seit Jahren nicht richtig betrachtet hatte. Da ich es nun tat, kehrte auch die Erinnerung an meine kindliche Reaktion darauf wieder. Es hatte gemischte Gefühle hervorgerufen: die tröstliche Gewissheit, dass die Toten, die für mich damals in einer Art langem Schlaf lagen, es unter der Schneedecke noch behaglicher hatten – und die Angst, dass es da unten in ihrer Höhle sehr nass wurde, wenn der Schnee taute. Nun wandelte sich diese Kindheitserinnerung in eine Empfindung ähnlich der, die ich am Strand von Bettystown gehabt hatte: dass diese Bilder – Wasser, eine Kirche, die unterirdische Ruhestätte der Toten – wie Tarotkarten waren, die Einsichten versprachen, wenn man sie richtig zu deuten wusste.
Ich erschrak, als das Telefon neben mir läutete.
»Alles in Ordnung bei dir?«, sagte Finian.
»Ja, ja.«
»Peggy hat mich angerufen. Was war los?«
Ich berichtete ihm kurz. Finian verlor kaum ein Wort über Keelan. Er war mehr um mein Wohlergehen besorgt. »Soll ich zu dir kommen?«
»Nein, die anderen werden gleich da sein …« Ich sah Scheinwerfer vor dem Haus. »Sie sind sogar schon da. Und übrigens werde ich Richard nichts von der ganzen Sache oder von dem Vorfall in der Kirche erzählen, okay? Ich muss jetzt aufhören.«
Greta stieg auf der Beifahrerseite als Erste aus. Sie trug einen pfirsichfarbenen Jogginganzug und makellos weiße Turnschuhe. »Schön, dich zu sehen«, sagte sie und strahlte.
»Hallo, Schwesterherz«, rief Richard aus dem Wagen, während er noch mit dem ungewohnten Sitzgurt kämpfte.
»Eoin schläft«, sagte Greta und öffnete eine der hinteren Türen. »Er liegt halb auf seiner Großmutter.«
Ich sah meine Mutter auf dem Rücksitz, wie sie sanft über Eoins Lockenkopf strich.
Richard befreite sich und kam um den Wagen herum. Er nahm mich in den Arm, bevor er seinen Sohn aus dem Fahrzeug holte.
»Am besten, wir wecken ihn nicht«, sagte ich. »Kommt mit – ich zeige euch, wo er schläft. Und wo ihr beide untergebracht seid.«
Richard legte sich Eoin über die Schulter und trug ihn ins Haus. Als ich ihnen folgte, fiel mir auf, wie ähnlich wir drei uns waren – dunkle Locken, blasse Haut, pechschwarze Augenbrauen.
Binnen weniger Minuten war Eoin entkleidet und gewaschen, hatte ein halbes Glas Wasser getrunken und war ins Bett gesteckt worden, ohne erkennbar ein Auge geöffnet zu haben. Als wir uns im Wohnzimmer versammelten, wünschte ich, ich könnte ihn ins Schlummerland begleiten. Nach den Ereignissen des heutigen Tages fühlte ich mich wie ein Punchingball.
Aber ich durfte mich nicht hängen lassen. »Ich freu mich so, euch alle zu sehen, willkommen zu eurem ersten Weihnachten in Irland als Familie. Möchte jemand einen Drink?«
Richard stand mit dem Rücken zum Kamin und blätterte in einer Zeitschrift, die er irgendwo gefunden hatte. Er sah zu Greta.
»Ehrlich gesagt, Illaun, wir sind ziemlich geschafft«, sagte sie. »Könnten wir die Drinks auf morgen Abend verschieben?«
»Ist mir recht. Wie sieht es mit dir aus, Mum?«
»Ich bin auch zu müde, Illaun. Ich hab den ganzen Tag geredet. Du kennst ja Tante Betty.«
Und dich, Mum. Ihr beide seid vom selben Schlag.
»Ich musste alte Fotos mit ihr durchsehen, sie will sie – wie heißt das noch? – scannen und als Familienalbum an Nichten und Neffen verschenken.«
»Für Weihnachten? Da ist sie aber ein bisschen spät dran.«
»Nein, nicht für Weihnachten. Das wird seine Zeit brauchen. Sie will die Familie eures Vaters ebenfalls bitten, ihre Alben durchzusehen.«
Richard hörte auf zu blättern und suchte meinen Blick.
Ich ignorierte ihn. »Wie weit zurück gehen die Fotos?«, fragte ich.
»Eure Urgroßeltern sind mit dabei. Sie dürften schon ein paar Jahre verheiratet gewesen sein, als das Bild gemacht wurde. Irgendwann zu Beginn des Jahrhunderts.« Des 20. Jahrhunderts, meinte sie. Meine Mutter konnte sich nicht daran gewöhnen, dass ein neues angebrochen war.
»Wie hießen sie? Peter und Marie?«
»Nein, nein. Dein Urgroßvater hieß Willie, und
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