Keltengrab: Thriller (German Edition)
Lebewesen, die ihre Toten bestatten.«
Ich hatte damals gelächelt, nicht nur weil es unerwartet war, sondern weil es mich daran erinnerte, dass mein Bruder Richard und ich als Kinder rituelle Begräbnisse praktiziert hatten – natürlich nicht von Menschen. Wir hatten jedoch mit großer zeremonieller Geste zahlreiche kleine Tiere in einem Blumenbeet ganz hinten in unserem Garten beerdigt.
Unser erstes Begräbnis war das einer Hummel, die wir auf Watte in eine Streichholzschachtel legten. Weiteres Getier dieser Art folgte: ein Marienkäfer, eine Motte; dann ein frisch geschlüpfter Jungvogel, mager, rosarot, mit purpurnen, papierdünnen Augenlidern. Schließlich gingen wir zu einem Kätzchen über, eins aus einem Wurf, das tot geboren wurde. Ich bat unsere Mutter, uns einen Sarg zur Verfügung zu stellen, was sie auch tat – eine Schuhschachtel, mit weißem Samt ausgelegt. Wir beide bildeten eine Prozession, ich vorne, mit dem hochgehaltenen Pappkartonsarg, Richard dahinter, der irgendein Kirchenlied falsch sang. Wir gruben, knieten nieder, beteten, schütteten zu und setzten ein Kreuz aus Eisstielen darauf.
Dann starb unser Hund an Altersschwäche. Wookie war eine schwarzweiße Promenadenmischung mit einem Fell wie ein Spielzeugpanda. Unser Vater wollte sie vom Tierarzt beseitigen lassen, aber mit unserer Erfahrung als Bestattungsunternehmer bestanden mein Bruder und ich auf einem Begräbnis im Blumenbeet. Es gab keinen Sarg. Der wäre zu groß geworden, deshalb betteten wir sie seitlich auf eine Zeitung und legten sie in ein flaches Grab. Aus einem Grund, an den ich mich nicht erinnere – vielleicht, um ein echtes Skelett zu sehen -, beschlossen wir zwei Wochen später, sie zu exhumieren. Was wir da ausgruben, hatte ich nicht erwartet. Wookies sonst flauschiges Fell glitzerte vor Nässe und klebte am Körper. In meiner Unschuld dachte ich, sie würde vor Wärme schwitzen, und erklärte das Richard. Dann bemerkte ich, wie zur Bestätigung meiner Theorie, dass sie keuchte. Wir hatten Wookie lebendig begraben! Irgendein Instinkt muss mir jedoch befohlen haben, sie nicht zu berühren. Ich befahl Richard, am Grab zu warten, während ich Vater holen ging, weil ich die Nachricht als Erste überbringen wollte.
»Dad, Dad sie lebt. Wookie lebt. Komm schnell!«
Als ich zurückkam und Vater an der Hand hinter mir herzog, stand Richard mit einem Stock da, den er gerade in Wookies Bauch gestoßen hatte. Eine wogende Menge von Maden ergoss sich aus dem Hohlraum, den er geschaffen hatte. Wir Kinder traten verwirrt zurück, während uns der beißende Gestank in die Nase stieg.
Dad nahm rasch den Spaten, den wir benutzt hatten, und häufte wieder Erde auf den Kadaver. »Macht so was nie wieder«, sagte er verärgert. »Manche Dinge sieht man besser nicht.«
Manche Dinge sieht man besser nicht.
Mit der Archäologie hatte ich einen Beruf gewählt, bei dem das Verborgene wieder an die Oberfläche befördert wird, und schon des Öfteren haben mich die Worte meines Vaters darüber grübeln lassen, wie angemessen es ist, gewisse Dinge ans Licht zu bringen. Dieser Augenblick in der zugigen Leichenhalle war eine solche Gelegenheit.
Der Pathologe hatte durch die lederartige Hülle geschnitten und den Unterleib des Wesens vom Brustbein bis zum Becken geöffnet. Der Brustkorb war als doppelter Fächer auseinander gespreizt, an dessen Außenflächen befanden sich talgige Ablagerungen von der Dicke einer Hühnerbrust und mit einer Lederrinde bedeckt. Was einmal die weichen Innereien gewesen waren, lag daneben auf dem Tisch – eine körnige, braungrüne Masse nicht mehr erkennbarer Organe und Schläuche, die wie der restliche Körper in Adipocire verwandelt worden waren. So wie auch das winzige Gehirn – es war herausgenommen worden und lag wie ein Klumpen Spachtelmasse in der umgedrehten Gehirnschale auf dem Tisch.
Das von der Gerbsäure gefärbte, nach oben geneigte Gesicht war unmöglich mit dem eines menschlichen Säuglings in Einklang zu bringen. Rötliches Flaumhaar bedeckte die Stirn rings um das fingerlange Horn aus Haut und den Schlitz darunter, aus dem Sherry den durchsichtigen Pfropf entfernt hatte. Die beiden miteinander verschmolzenen Augen nahmen die eine Augenhöhle ein, die Iris jeweils schwarz, die Sklera nikotingelb verfärbt. Wo der Mund hätte sein müssen, gab es lediglich eine Furche in dem talgigen Gesicht, und das Kinn war mit einer hautartigen Membrane an der Brust befestigt, direkt oberhalb von Sherrys
Weitere Kostenlose Bücher