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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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das Erlebnis einer unbarmherzigen und zutiefst ungerechten Welt eine übermächtige Belastung geworden. Aron war verschwunden, weil er der war, der er immer gewesen war, ein Mann, der unfähig war, Verantwortung zu tragen. Der Mord an Umbi war an und für sich unerklärlich, mußte aber nichts mit Henrik oder Aron zu tun haben.
    Ich habe mich in einem Alptraum versteckt, dachte sie. Statt mir selbst einzugestehen, was geschehen ist.
    Doch es gelang ihr nicht, sich selbst zu überzeugen. Zu vieles zeigte in die andere Richtung. Die Kompaßnadel drehte sich. Sie wußte nicht einmal, was mit den Laken aus Henriks Bett geschehen war. Vielleicht waren sie mitgenommen worden, als der Körper hinausgetragen wurde? Es gab immer Kerben in den Vasen, die sie aus ihren Scherben aus der griechischen Erde zusammengesetzt hatte. Die Wirklichkeit ließ sich nicht alle Geheimnisse entlocken. Als sie die Wohnung verließ, war sie immer noch voller Zweifel.
    Sie ging zum Slussen zurück und stieg in ein Taxi, das sie nach Arlanda hinausbrachte. Die Landschaft war grau und trüb. Es war Spätherbst, bald Winter. Im Inlandterminal kaufte sie einen Flugschein für eine Maschine nach Östersund um 16 Uhr 10. Artur antwortete ihr aus dem Wald, daß er dasein würde, um sie abzuholen.
    Es waren noch drei Stunden bis zum Abflug. An einem Cafetisch mit Aussicht auf die Flugzeuge, die zum Terminalgebäude rollten, wählte sie Nazrins Nummer. Sie nahm nicht ab. Louise sprach eine Mitteilung aufs Band und bat sie, sich bei ihr in Härjedalen zu melden.
    Das war jetzt ihre größte Unruhe. Sie mußte mit Nazrin über Henriks Krankheit sprechen. Hatte er sie infiziert? Naz-rin, die seine Schwester Felicia gewesen war.
    Louise blickte zum Wald auf der anderen Seite des Flugplatzes hinüber. Wie würde sie es ertragen, wenn sich zeigte, daß es so war?
    Auch sie, seine Schwester, die es nicht gab, hätte er dann mit der Krankheit angesteckt.
    In den Stunden bis zum Abflug versuchte sie, darüber nachzudenken, was sie in Zukunft machen würde.
    Ich bin immer noch erst vierundfünfzig Jahre alt. Werde ich wieder Freude und Spannung empfinden angesichts dessen, was sich in der Erde verbirgt und auf meine Aufmerksamkeit wartet? Oder ist es vorbei? Gibt es überhaupt eine Zukunft?
    Sie war noch nicht auf den Grund dessen gelangt, was Henriks Tod bedeutete.
    Nicht zu wissen ist das, was mich tötet. Ich muß die Stücke dazu zwingen, sich zusammenzufügen und mir ihre Geschichte zu erzählen. Vielleicht ist die einzige archäologische Untersuchung, die ich noch vor mir habe, die, welche ich in mir trage.
    Sie wählte die Nummer von Arons Handy. »Der gewünschte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar.«
    Flugzeuge hoben ab zum grauen Himmel oder tauchten als schimmernde Vögel unter den Wolken heraus. Langsam ging sie zur Gepäckaufbewahrung, holte ihr Gepäck, checkte ein und setzte sich auf ein blaues Sofa und wartete. Die halbleere Maschine startete pünktlich.
    Es war dunkel und windstill und schneite leicht, als sie in Östersund zum Flugplatzterminal ging.
    Artur wartete am Gepäckband auf sie. Er hatte sich rasiert und feingemacht, für sie.
    Als sie sich ins Auto setzten, fing sie an zu weinen. Er streichelte ihr die Wange und lenkte den Wagen zur Brücke über den Storsjö und zur Straße, die nach Süden in Richtung Sveg führte.
    Sie waren in der Nähe von Svenstavik, als sie begann, von ihrer Reise nach Afrika zu erzählen.
    »Ich erzähle es versuchsweise«, sagte sie. »Ich glaube, ich muß mich vorwärts tasten, um die Erzählung zu finden, wie sie war. Ich muß suchen, damit ich die richtigen Worte finde.«
    »Nimm dir die Zeit, die du brauchst.«
    »Es kommt mir vor, als wäre es eilig.«
    »Dein Leben war immer so in Eile. Ich habe nie verstanden, warum. Man schafft sowieso nie mehr als einen Bruchteil alles dessen, was man zu schaffen wünscht. Auch ein langes Leben ist kurz. Neunzigjährige können ebenso ungeduldig träumen wie Teenager. «
    »Ich weiß immer noch nichts von Aron. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt.«
    »Du mußt ihn suchen lassen. Ich wollte es nicht tun, ohne zuerst mit dir zu sprechen. Aber ich habe nachgefragt, ob er nach Apollo Bay zurückgekehrt ist. Das ist er nicht.«
    Sie fuhren durch die Dunkelheit. Das Scheinwerferlicht fiel auf den Wald, der auf beiden Seiten dicht an die Straße heranreichte. Immer noch leichter Schneefall. Irgendwo zwischen Ytterhogdal und Sveg schlief sie ein, den Kopf an

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