Kennen Wir Uns Nicht?
wieso er sich eigentlich die Mühe macht, eine Ausrede zu erfinden. Eric ist mit seinen Gedanken überhaupt nicht bei der Sache. Drei Sekunden später piept mein Handy wieder, und ich hole es hervor.
»Noch eine SMS von Amy«, sage ich empört. »Sie ist‘ne echte Nervensäge.« Ich werfe Jon einen Blick zu, als ich meinen Finger auf »Löschen« setze, und vor Bestürzung werden seine Augen ganz groß. Ha! Nachdem ich nun die Wahrheit kenne, ist es offensichtlich, dass er alles nur vortäuscht.
»Ist das denn eine gute Idee?«, sagt er eilig. »Eine Nachricht zu löschen, ohne sie gelesen zu haben?«
»Die Nachricht interessiert mich nicht.« Ich zucke mit den Schultern.
»Aber wenn man sie gar nicht gelesen hat, weiß man auch nicht, was darin stand ...«
»Wie gesagt.« Ich schenke ihm ein süßes Lächeln. »Kein Interesse.« Ich drücke »Löschen«, stelle mein Handy aus und lasse es in meine Handtasche fallen.
»Also!« Eric dreht sich zu uns um, überschwänglich begeistert. »Die Clarksons wollen es sich morgen noch mal ansehen. Ich glaube, das könnte klappen. Das wären dann sechs verkaufte Einheiten, allein heute Abend.«
»Gut gemacht, mein Schatz. Ich bin so stolz auf dich!«, rufe ich und lege mit extravaganter Geste meinen Arm um ihn. »Ich bin noch verliebter als an unserem Hochzeitstag.«
Verwundert runzelt Eric die Stirn. »Aber du kannst dich doch gar nicht an unseren Hochzeitstag erinnern. Dann weißt du doch auch nicht, wie verliebt du warst.«
Himmelarsch. Wieso muss er es auch so wörtlich nehmen?
»Also, so verliebt ich auch gewesen sein mag ...« Ich versuche, meine Ungeduld zu bändigen. »Jetzt bin ich noch verliebter. Viel verliebter!« Ich stelle mein Champagnerglas ab, werfe Jon einen trotzigen Blick zu und drücke Eric an mich, um ihm einen Kuss zu geben. Den längsten, feuchtesten Guck-mal-wie-verliebt-ich-in-meinen-Mann-bin-und-übrigens-haben-wir-ganz-tol-len-Sex-Kuss. Irgendwann versucht Eric, sich von mir loszueisen, aber ich halte ihn noch fester und klebe mit meinem Gesicht an seinem. Endlich, als ich schon denke, dass ich gleich ersticken muss, lasse ich ihn los, wische mir den Mund mit dem Handrücken ab und sehe mich um. Die Leute sind im Aufbruch. Jon ist nicht mehr da.
FÜNFZEHN
Meine Ehe. Das ist mir das Wichtigste. Von jetzt an werde ich mich auf meine Beziehung mit Eric konzentrieren, sonst nichts.
Am nächsten Morgen bin ich immer noch etwas durch den Wind, als ich zum Frühstück in die Küche komme und den Krug mit dem grünen Saft aus dem Kühlschrank hole. Ich kann doch gestern Abend nur verrückt gewesen sein. Ich bin mit dem Mann meiner Träume verheiratet, und er wurde mir auf einem Silbertablett serviert. Warum sollte ich das alles riskieren? Warum sollte ich irgendeinen wildfremden Kerl küssen, noch dazu in einem Schlafzimmer, egal was für eine Geschichte er mir gerade auftischt?
Wie jeden Morgen schenke ich mir einen klitzekleinen Schwung von dem grünen Saft ein und schwenke ihn herum, damit er nach Bodensatz aussieht. (Ich krieg diesen Froschlaich nicht runter. Aber ich möchte Eric nicht enttäuschen. Für ihn ist der grüne Saft fast so toll wie Loft-Style-Living.) Dann nehme ich ein gekochtes Ei aus dem Topf und schenke mir eine Tasse Tee ein, den Gianna zubereitet hat. Langsam komme ich mit dem kohlenhydratarmen Start in den Tag ganz gut zurecht. Ich esse jeden Morgen ein gekochtes Ei mit Schinken oder wahlweise ein Eiweiß-Omelett.
Und manchmal gönne ich mir auf dem Weg zur Arbeit einen Bagel. Aber nur wenn mein Magen knurrt.
Als ich mich setze, ist in der Küche alles still und friedlich, nur ich selbst bin immer noch nervös. Was wäre, wenn ich die Sache mit Jon noch weiter getrieben hätte? Was wäre, wenn Eric es herausgefunden hätte? Ich hätte alles kaputtgemacht. Ich bin erst seit ein paar Wochen verheiratet, und schon setze ich alles aufs Spiel. Man muss seine Ehe hegen und pflegen. Wie eine Orchidee.
»Morgen!« Im blauen Hemd kommt Eric in die Küche geschlendert, offensichtlich bester Laune. Die gestrige Premiere war die erfolgreichste bisher. »Gut geschlafen?«
»Sehr gut, danke!«
Weder verbringen wir die Nächte im selben Bett, noch haben wir es ein zweites Mal mit Sex versucht. Aber wenn ich meine Ehe hegen und pflegen will, sollte ich vielleicht etwas zugänglicher werden. Ich stehe auf, um den Pfeffer zu holen, und streiche absichtlich an Eric entlang.
»Du siehst toll aus heute Morgen.« Ich lächle zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher