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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht? Kostenlos Bücher Online Lesen
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überlassen. Kein Wort hat er darüber verloren.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich weiß ja nicht mal, was ich denken soll.
    »Es ist sein Geld«, sage ich schließlich. »Warum sollte er? Und außerdem bin ich nicht auf Hilfe angewiesen.«
    »Ich weiß. Ich hatte sie dir angeboten. Du wolltest nichts annehmen. Du bist ziemlich stur.« Er kommt an eine große Kreuzung, hält hinter einem Bus und sieht mich an. »Was hast du jetzt vor?«
    »Jetzt?«
    »Den Rest des Tages.« Er zuckt mit den Schultern. »Wo Eric weg ist...«
    Tief in mir rührt sich was. Ein leises Beben, das ich am liebsten ignorieren würde. Wenn ich könnte.
    »Tja.« Ich versuche, geschäftsmäßig zu klingen. »Ich habe nichts geplant. Nach Hause gehen, was essen, mir diesen Ordner durchlesen ...« Ich zwinge mich, eine angemessene Pause einzulegen, bevor ich hinzufüge: »Wieso?«
    »Ach, nichts.« Auch Jon lässt eine Pause und starrt geradeaus, dann fugt er wie beiläufig hinzu: »Ich dachte nur gerade, dass bei mir in der Wohnung noch Sachen von dir sind. Vielleicht möchtest du sie gern haben.«
    »Okay.« Unverbindlich zucke ich mit den Schultern.
    »Okay.« Er wendet den Wagen, und den Rest des Weges fahren wir schweigend.
    Jon hat die hübscheste Wohnung, die ich je gesehen habe.
    Okay, sie liegt in einer schmuddeligen Straße in Hammersmith. Und die Graffiti an der Mauer gegenüber muss man sich wegdenken. Aber das Haus ist groß und hell, mit alten Bogenfenstern, und es stellt sich heraus, dass die Wohnung bis ins Nachbarhaus reicht und um ein Vielfaches breiter ist, als man von außen sehen kann.
    »Es ist... echt toll.«
    Ich stehe da und sehe mich an seinem Arbeitsplatz um. Mir fehlen die Worte. Die Decke ist hoch, die Wände sind weiß, und da steht ein geschwungener Schreibtisch voller Papiere neben einem Arbeitsplatz mit einem riesigen Mac. In der Ecke hat er eine Staffelei und gegenüber davon eine ganze Wand mit Büchern und einer altmodischen Regalleiter auf Rädern.
    »Die ganze Häuserreihe besteht aus Ateliers.« Jons Augen leuchten, als er herumläuft, zehn gebrauchte Kaffeetassen einsammelt und damit in einer winzigen Küche verschwindet.
    Die Sonne ist wieder herausgekommen und scheint durch die Bogenfenster auf die abgeschliffenen Dielen. Am Boden liegen weggeworfene Skizzen und Zeichnungen. Mitten auf dem Schreibtisch steht eine Flasche Tequila, daneben liegt eine Tüte mit Mandeln.
    Ich blicke auf und sehe, dass Jon mich von der Küchentür aus schweigend beobachtet. Er rauft sich die Haare, als müsste er zu sich kommen, und sagt: »Deine Sachen sind hier drüben.«
    Ich folge ihm durch einen kleinen Flur in ein gemütliches Wohnzimmer. Es gibt große, blaue Stoffsofas, einen ledernen Sitzsack und einen alten Fernseher, der auf einem Stuhl steht. Hinter dem Sofa steht ein wackliges Holzregal voller Bücher und Zeitschriften und Pflanzen und ...
    »Da steht mein Becher!« Ich starre einen handbemalten, roten Becher an, den mir Fi zum Geburtstag geschenkt hat. Er steht im Regal, als gehöre er hierher.
    »Ja.« Jon nickt. »Das meinte ich. Du hast noch Sachen hier.« Er nimmt den Becher und gibt ihn mir.
    »Und ... mein Pulli!« Da liegt ein alter, gerippter Rollkragenpulli über der Sofalehne. Den habe ich bestimmt schon seit ich sechzehn war. Wie kommt der hierher ...?
    Ungläubig sehe ich mich um, und mir fällt immer mehr auf. Dieses künstliche Wolfsfell, das ich mir früher immer um die Schultern gelegt habe. Alte, gerahmte Collegefotos. Mein pinker Toaster?
    »Du kamst oft her, um Toast zu essen.« Jon folgt meinem erstaunten Blick. »Du hast dich damit vollgestopft, als wärst du am Verhungern.«
    Plötzlich erkenne ich meine andere Seite, die ich schon verloren geglaubt hatte. Zum ersten Mal, seit ich im Krankenhaus zu mir gekommen bin, fühle ich mich irgendwo heimisch. In der Ecke steht sogar eine Pflanze mit bunten Lichtern, denselben bunten Lichtern, die ich in meiner kleinen Wohnung in Balham hatte.
    Hier waren meine Sachen. Die ganze Zeit. Plötzlich fallen mir Erics Worte wieder ein, als ich ihn das erste Mal nach Jon gefragt hatte. Jon kann man sein Leben anvertrauen.
    Vielleicht habe ich genau das getan. Ich habe ihm mein Leben anvertraut.
    »Kannst du dich an irgendwas erinnern?« Jon klingt beiläufig, aber ich spüre die Hoffnung, die daraus spricht.
    »Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Nur an die Sachen aus meinem früheren Leben ...« Plötzlich fällt mir ein Bilderrahmen ins

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