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Kennen Wir Uns Nicht?

Kennen Wir Uns Nicht?

Titel: Kennen Wir Uns Nicht? Kostenlos Bücher Online Lesen
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Körper Schindluder getrieben habe. Also dachte ich mir, ich sollte euch, meiner Familie, eine kleine Botschaft hinterlassen, für alle Fälle.«
    Er macht eine Pause und nimmt einen großen Schluck aus einem Whiskyglas. Ich merke, dass seine Hand zittert, als er es abstellt. Wusste er, dass er sterben würde? Plötzlich habe ich einen dicken Kloß im Hals. Ich sehe zu Amy hinüber. Sie hat ihr Handy sinken lassen und sieht zu, sitzt da wie angewurzelt.
    »Genießt euer Leben«, sagt Dad in die Kamera. »Seid glücklich. Seid nett zueinander. Barbara, hör auf, nur für die blöden Hunde zu leben. Es sind keine Menschen. Sie werden dich niemals lieben, sie werden dich nie ernähren und auch nicht mit dir ins Bett gehen. Es sei denn, du hättest es wirklich nötig.«
    Ich schlage mir die Hand vor den Mund. »Das hat er nicht gesagt!«
    »Doch, hat er.« Amy schnaubt vor Lachen. »Mum ist sofort rausgegangen.«
    »Ihr habt nur dieses eine Leben, meine Lieben. Verplempert es nicht.« Mit glänzenden Augen blickt er in die Kamera, und plötzlich erinnere ich mich an ihn, als ich klein war und er mich mit einem Sportwagen von der Schule abholte. Ich habe ihn allen gezeigt: Das da drüben ist mein Daddy! Alle Kinder haben mit offenem Mund das Auto bestaunt, und alle Mütter warfen ihm verstohlene Blicke zu, in seinem smarten Leinensakko und gebräunt von der spanischen Sonne.
    »Ich weiß, ich habe hier und da Scheiße gebaut«, sagt Dad.
    »Ich weiß, ich war nicht gerade der beste Familienvater. Aber ich schwöre: Ich habe immer mein Bestes gegeben. Macht‘s gut, Mädels. Wir sehen uns.« Er hebt sein Glas zur Kamera und trinkt. Dann ist der Bildschirm schwarz.
    Die DVD stoppt automatisch, doch keine von uns beiden rührt sich, Amy nicht und ich auch nicht. Als ich den dunklen Bildschirm anstarre, fühle ich mich noch verlorener als vorher. Mein Dad ist tot. Schon seit drei Jahren. Ich kann nie wieder mit ihm reden. Ich kann ihm nie wieder etwas zum Geburtstag schenken. Ich kann ihn nie wieder um Rat fragen. Auch wenn man von Dad kaum einen anderen Rat bekommen konnte, als wo man am besten sexy Dessous kaufte. Ich sehe zu Amy hinüber, die meinen Blick mit leichtem Achselzucken beantwortet.
    »Das war wirklich eine schöne Botschaft«, sage ich und bin entschlossen, nicht sentimental zu werden oder zu heulen oder so. »Unerwartet.«
    »Ja.« Amy nickt. »Stimmt.«
    Die eisige Stimmung zwischen uns scheint aufgetaut zu sein. Amy greift in ihre Tasche und holt ein winziges Make-up-Kästchen hervor, auf dessen Deckel mit Strass Babe geschrieben steht. Sie nimmt einen Konturenstift und zeichnet fachmännisch ihre Lippen nach, mit Hilfe eines winzigen Spiegels. Ich habe noch nie gesehen, dass sie sich schminkt, außer wenn wir uns verkleidet haben.
    Amy ist kein Kind mehr, denke ich, als ich sie betrachte. Sie ist fast schon erwachsen. Ich weiß wohl, dass es heute zwischen uns nicht so gut gelaufen ist, aber vielleicht war sie mir in den letzten Jahren doch so etwas wie eine Freundin.
    Eine Vertraute.
    »Hey, Amy«, sage ich leise und vorsichtig. »Haben wir vor dem Unfall viel miteinander geredet? Wir beide, meine ich. Über so ... Sachen?« Ich werfe einen Blick zur Küchentür, um sicherzugehen, dass Mum uns nicht hören kann.
    »Manchmal.« Sie zuckt mit den Achseln. »Was für Sachen?«
    »Ich dachte nur gerade.« Meine Stimme soll natürlich klingen. »Nur so aus Interesse: Habe ich jemals jemanden erwähnt, der ... Jon hieß?«
    »Jon?« Amy stutzt, mit ihrem Lippenstift in der Hand. »Du meinst den, mit dem du Sex hattest?«
    » Was?« Meine Stimme schießt los wie eine Rakete. »Bist du sicher?«
    Oh, mein Gott. Es stimmt.
    »Ja.« Meine Reaktion scheint Amy zu überraschen. »An Sylvester hast du mir davon erzählt. Du warst ziemlich breit.«
    »Was habe ich dir sonst noch erzählt?« Mein Herz hämmert wie wild. »Sag mir alles, woran du dich erinnern kannst.«
    »Du hast mir einfach alles erzählt!« Ihre Augen leuchten. »Bis ins Detail. Es war dein erstes Mal überhaupt, und er hatte das Gummi verloren, und du bist fast erfroren da draußen auf dem Schulsportplatz ...«
    »Schulsportplatz?« Ich starre Amy an und versuche, zu begreifen. »Du meinst... redest du von James?«
    »Ach, ja!« Sie schnalzt mit der Zunge. »Den meinte ich! James. Der Typ aus der Band, als du noch auf der Schule warst. Wieso, wen meinst du denn?« Sie malt sich die Lippen fertig und mustert mich interessiert. »Wer ist

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