Kennen Wir Uns Nicht?
berührt hat. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
»Und wie gefallt es dir?« Erics Stimme tönt von unten herauf, und ich mache einen meterhohen Satz, reiße meine Hand an mich. Was denke ich mir bloß dabei?
»Es ist hübsch, Liebling!«, trällere ich über die Balustrade hinweg, mit unnatürlich hoher Stimme. »Wir brauchen nur noch ein paar Sekunden ...« Ich weiche zurück, sodass ich von unten nicht mehr zu sehen bin, und winke Jon, mir zu folgen. »Hör mal zu. Mir reicht‘s jetzt«, fauche ich leicht hysterisch. »Lass mich in Frieden. Ich kenne dich nicht. Ich liebe dich nicht. Momentan ist alles schon schwer genug für mich. Ich möchte einfach mein Leben weiterleben, und zwar mit meinem Mann, okay?« Ich mache mich auf den Weg die Treppe hinunter.
»Nein! Nicht okay!« Jon packt mich beim Arm. »Lexi, du weißt nicht alles. Du bist unglücklich mit Eric. Er liebt dich nicht, er versteht dich nicht ...«
»Natürlich liebt Eric mich!« Inzwischen bin ich völlig durcheinander. »Er hat im Krankenhaus Tag und Nacht an meinem Bett gesessen. Er hat mir diese wunderschönen, maulwurfsgrauen Rosen mitgebracht...«
»Glaubst du etwa, ich hätte nicht Tag und Nacht an deinem Bett sitzen wollen?« Jons Blick verfinstert sich. »Lexi, es hat mich innerlich zerrissen.«
»Lass mich los!« Ich will meinen Arm befreien, aber Jon hält ihn fest.
»Du darfst unsere Liebe nicht wegwerfen!« Verzweifelt sucht er in meinem Gesicht. »Es ist da drinnen. Es ist alles irgendwo da drinnen. Ich weiß es ...«
»Du täuschst dich!« Mit Schwung reiße ich mich von ihm los. »Ist es nicht!« Ohne mich noch einmal umzusehen, klappere ich die Treppe hinunter, direkt in Erics Arme.
»Hi!« Er lacht. »Du hast es aber eilig. Ist alles in Ordnung?«
»Ich ... fühl mich nicht so gut.« Ich lege eine Hand an meine Stirn. »Kopfschmerzen. Können wir jetzt gehen?«
»Aber natürlich können wir das, Liebling.« Er drückt meine Schultern und blickt die Treppe hinauf. »Hast du dich schon von Jon verabschiedet?«
»Ja. Lass uns einfach ... gehen.«
Auf dem Weg zur Tür klammere ich mich an sein teures Jackett, beruhige meine strapazierten Nerven damit, dass ich ihn spüre. Das ist mein Mann. Das ist der Mann, den ich liebe. Das ist die Realität.
ZWÖLF
Okay. Ich muss meinem Gedächtnis dringend nachhelfen. Ich hab endgültig genug von dieser Amnesie. Ich hab genug davon, dass mir alle Leute erzählen, sie wüssten mehr über mein Leben als ich selbst.
Es sind meine Erinnerungen. Sie gehören mir.
Ich blicke tief in meine Augen, die sich direkt vor meiner Nase in der Schranktür spiegeln. Ich habe mir angewöhnt, immer so nah vor dem Spiegel zu stehen, dass ich nichts anderes sehe, nur meine Augen. Das beruhigt mich irgendwie. Es gibt mir das Gefühl, dass mein altes Ich noch da ist.
»Erinnere dich, du Spatzenhirn!«, sage ich zu mir, mit tiefer, böser Stimme. »Er-in-ne-re dich«
Meine Augen stieren mich an, als wüssten sie alles, wollten aber nicht raus damit. Ich seufze und lehne meinen Kopf frustriert gegen den Spiegel.
Seit unserem Besuch in der Musterwohnung bin ich vollends in die vergangenen drei Jahre abgetaucht. Ich habe tagelang Fotoalben durchforstet, Filme angesehen, von denen ich wusste, dass ich sie »kenne«, mich mit Songs beschäftigt, die die alte Lexi hundertmal gehört hat ... Aber es bringt alles nichts. Die mentale Schublade, in der meine fehlenden Erinnerungen weggeschlossen sind, scheint ziemlich stabil zu sein. Sie wird sich nicht öffnen lassen, nur weil ich mir »You‘re Beautiful« von James ... Wie-heißt-er-noch anhöre.
Dämliches, geheimnistuerisches Hirn! Ich meine, wer hat denn hier das Kommando? Ich oder du?
Gestern war ich bei diesem Neurologen - Neil. Er nickte zwar mitfühlend, während ich ihm alles erzählte, und machte sich reichlich Notizen. Aber dann meinte er nur, das sei alles ausgesprochen faszinierend, und vielleicht wolle er eine Forschungsarbeit über mich schreiben. Auf mein Drängen fugte er hinzu, es könne vielleicht helfen, eine Zeitleiste anzulegen, und vielleicht sei es zudem sinnvoll, einen Therapeuten aufzusuchen.
Aber ich brauche keine Therapie. Ich brauche mein Gedächtnis. Der Spiegel beschlägt von meinem Atem. Ich drücke meine Stirn so fest dagegen, als lägen die Antworten allesamt bei meinem Spiegel-Ich, als könnte ich sie finden, wenn ich mich nur genügend konzentrierte ...
»Lexi? Ich muss los.« Eric kommt ins Schlafzimmer, hält
Weitere Kostenlose Bücher