Kerstin Gier 2
vorhin sagen? Ich soll entweder nach Hause gehen, oder …?« Agathe blitzt mich herausfordernd an. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich … grrrrr. Warum ist sie Sebastians Schwester, und warum gehört dieses Scheißhaus ausgerechnet ihr? Okay, wir sparen eine Menge Miete, denn wir zahlen Agathe nur einen kleinen Obolus für unsere Wohnung, aber ich überlege ernsthaft, umzuziehen, weil Agathe so nervig ist. Oder noch besser, ich verlasse die Stadt. Das Land. Die Welt. Das Universum!
»Ja, also, eigentlich gibt es gar kein Oder. Es wäre schön, wenn du gehst, Agathe. Ich wollte noch so einiges mit den Kindern machen, und da würdest du ein bisschen stören.« Noel nuckelt an Agathes Zeigefinger. »Außerdem hat Noel Hunger. Gib ihn mir bitte!« Hatte Sibi nicht vorhin gesagt, sie hätte ihn noch schnell gefüttert? Aber okay, die Hälfte der Raubtierfütterung ist schließlich auf meiner Schulter gelandet. Von daher kann er sicher noch eine Ladung Nachschub gebrauchen.
»Auch Hunger«. Jules.
»Was möchtest du denn essen, mein Kleiner?«, frage ich, während ich ihm über den Kopf streichle.
»Lokolade.«
Ja, die könnte ich jetzt auch gut gebrauchen. Aber seit zwei Tagen sind Sebastian und ich auf Diät, und deshalb gibt es in diesem Haushalt keine Schokolade.
»Jules, ich habe leider keine Schokolade im Haus.«
»Das ist auch sehr gut so! Denn Schokolade ist gaaaar nicht gut.« Agathe.
Dann setzt sie zu einem Vortrag über die Schädlichkeit von Zucker an, während ich in die Küche gehe und Jules ein Butterbrot mit Gesichtswurst zubereite.
»Ist icht!«, quiekt er vergnügt, als ich ihm das Butterbrot serviere. Schön kleingeschnitten auf einem Brettchen, aber so, dass man das Grinsen der Wurst immer noch erkennen kann.
»Sag nicht, ihr esst immer noch Fleisch!« Agathe ist seit Jahren bekennende Vegetarierin. Das kann sie von mir aus ja auch sein, aber sie soll doch bitte damit aufhören, mir ständig ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn es in unserem Haushalt Wurst oder Fleisch gibt.
»Agathe, das hier ist meine Wohnung …«
Sie unterbricht mich. »In MEINEM Haus!« Sie grinst so breit, dass ich noch das Tofuschnitzel von letzter Woche hinter ihrem rechten Weisheitszahn sehen kann. Herrgott noch mal.
Also versuche ich es anders.
»Liebste Agathe, du bist sicher die tollste Schwägerin, die sich eine Frau wie ich wünschen kann. Wie du weißt, habe ich nur einen Realschulabschluss, kein Abi, bin zur Zeit als Tippse in der Firma deines Mannes tätig und darf deshalb nicht so hohe Ansprüche stellen …« Mir wird fast übel vor lauter Schleimerei. »Ich habe keine Erfahrung mit Kindern und würde sicher eine ganz schreckliche Mutter abgeben.« Jetzt streichel ich Noel über den Kopf.
»Aber ich wäre jetzt gern allein mit meinen beiden kleinen Rackern, denn so oft sehe ich sie ja auch nicht, und da würde ich gern die Zeit mit ihnen genießen. Aber wenn ich irgendwie nicht klarkomme, dann kann ich ja schnell hochkommen und dich um Hilfe bitten!« So, und jetzt sieht man hinter meinem Weisheitszahn den Big Mac von vorgestern! Mit ZWEI Fleisch-Scheiben! Ha!
»Aber meinst du echt, du kommst damit klar? Nicht, dass du die Kinder vollkommen verziehst!« Ja klar, die ganze Erziehung ist komplett für den Müll, weil ich ein paar Stunden mit den Kindern verbringe.
»Keine Sorge, Agathe, ich schaff das schon! Und wenn alle Stricke reißen, gibt es ja noch die Nanny aus dem Fernsehen!« Ich tätschle ihre Hand. »Und dich natürlich!«
Agathe steht auf, legt Noel auf die Spieldecke, die ich auf dem Boden ausgebreitet habe und sagt zum Abschied: »Ich hoffe wirklich, du kriegst das hin!« Und das sagt sie so, als hätte ich vor, eine Rakete zu bauen, mit der man auf den Mond fliegen kann.
Sie geht zur Tür, ich husche hinterher und schließe sie dann erleichtert hinter ihr.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, ist Jules gerade dabei, ein neues Muster auf meiner Couch zu kreieren. Nein, nein, nicht etwa mit Malstiften (was ja schon schlimm genug wäre), sondern mit den kleingeschnittenen Brotstücken.
»Icht lecker, Ooot nee.« Ich übersetze für mich »Gesicht lecker, Brot nee!« Na toll! Ob ich die Butter wohl jemals wieder aus dem Stoff bekomme?
»Aber Noel, du kannst doch nicht nur die Wurst essen!«
»Nee«, ist seine Antwort. »Will pielen!«
»Na, dann komm!«, entgegne ich voller Elan und schütte die Bauklötze aus Sibis Kinderutensilientasche.
Nachdem wir alle
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