Kerstin Gier 2
Beispiel? Deine Kinder kommen doch sicher gleich alle aus der Schule. Essen müssen kleine Menschen nämlich auch. Das brauchen sie zum Wachsen und Reifen!«
»Was bist du denn so aggressiv, meine Liebe?« Die Frau macht mich fertig. Und andererseits beneide ich sie um ihre Gelassenheit. Ich glaube, ich habe noch nie gesehen, dass irgendjemand oder irgendetwas sie aus der Fassung gebracht hat.
»Ich bin nicht aggressiv! Es nervt mich nur, wenn du mich ständig zurechtweist!«, sage ich, während ich darauf achte, einen einigermaßen freundlichen Ton anzuwenden.
»Ja nun … Du und Sebastian habt nun mal keine Kinder. Ist doch klar, dass ihr euch mit Erziehung dann auch nicht auskennt. Da darf man doch ein paar Tipps geben, oder?« Sie friemelt sich die Luftschlangen aus den Haaren, bückt sich und packt Jules dann in den LKW , der daraufhin lautstark damit gegen den Schuhschrank fährt.
»Jules, nein. Das tut dem Schrank doch weh! Fahr bitte nur auf dem Boden entlang!«, ermahne ich ihn. Jules hört sofort auf und lenkt den LKW in eine andere Richtung. Ha! Da kann Agathe mal sehen, wie gut ich mit Kindern umgehen kann!
»Wie kannst du einem Kind nur so was sagen?« Agathe scheint entrüstet. Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?
»Ein Schrank ist doch kein Lebewesen! Ich mein … du bringst dem Jungen bei, dass er einem SCHRANK wehtun könnte, und irgendwann, wenn er älter ist und sich bei einem Schrank entschuldigt, weil er ihn angerempelt hat, wirst du ihn zum Psychiater schicken, weil du denkst, er sei nicht ganz dicht im Kopf!«
Ich verdrehe genervt die Augen. Das kann doch alles nicht wahr sein. Diese Frau ist einfach unglaublich. Kaum vorstellbar, dass sie die gleichen Eltern hat wie Sebastian. Ob ihre Mutter fremdgegangen ist? Mit dem Vater von Fräulein Rottenmeier aus den Heidi-Filmen?
»Okay Agathe. Pass auf.« Ich hole tief Luft, um etwas total Atemberaubendes zu sagen. »Du hast jetzt zwei Möglichkeiten!« Ich atme noch einmal tief ein. Denn ich habe keine Ahnung, wie der Satz nun weitergehen soll.
»Ähm … also entweder gehst du jetzt in deine Wohnung und lässt mich mit den beiden Kindern hier alleine oder …«
»Oder?«
Ich schaue mich hektisch um. Jules sitzt auf dem Boden und spielt brav mit dem LKW , Noel quietscht vergnügt auf Agathes Arm, und das Telefon klingelt.
»… Moment!«
Ich nehme den Hörer in die Hand, freue mich über die willkommene Störung, drücke auf den grünen Knopf und nehme das Gespräch an.
»Schatz, alles okay bei dir? Wie geht es dir? Was machst du gerade?« Sebastian. Er ruft mich vom Büro aus an.
»Ach Basti, hier ist an sich alles okay. Sibi hat die Kleinen vorbeigebracht, und wir haben gerade so schön gespielt …« Ich kann mir ein Grinsen in Agathes Richtung nicht verkneifen. »… als deine Schwester anklingelte.«
»Agathe ist bei dir? Oje, du bist nicht zu beneiden!«, lacht er in den Hörer. Er LACHT ! Dabei weiß er ganz genau, wie nervig Agathe sein kann. Und ich weiß, dass er jetzt so richtig schön schadenfroh ist und unglaublich erleichtert, dass er sich im Büro befindet und nicht hier.
»Aber geht es dir denn schon besser? Dir war heute Morgen doch ein wenig übel!«, fragt er dann besorgt.
»Ja doch, alles prima. Kaum, dass die Kinder hier waren, waren meine Magenprobleme wie weggeflogen!« Ich säusel in den Hörer. Das mach ich sonst nie. Aber ich habe das dringende Bedürfnis, Agathe zu zeigen, was eine wirklich schöne Welt ist, in der alles liebevoll und harmonisch ist.
»Wenn ich nachher nach Hause komme, können wir ja noch mal über das gewisse Thema reden, okay?« Damit meint Sebastian die Familienplanung, über die wir gestern Abend im Bett noch einmal geredet haben. Er versucht, mir die Angst vor einer Schwangerschaft zu nehmen, aber ich bezweifle, dass er das jemals schaffen wird. Denn nicht nur die Berichte von Sibi, sondern auch die von meinen anderen Freundinnen und vor allem all die Fotos und Artikel, die ich beim Googeln gefunden habe, lassen in mir statt eines Babys eher ein riesiges NEIN wachsen.
»Ja, das können wir tun, mein Schatz. Aber jetzt muss ich erst mal aufhören, die Kinder wollen beschäftigt werden.«
»Du hörst dich schon an wie eine richtige Mutter. Süß! Bis nachher, mein Liebling!« Dann schmatzen wir noch schnell gegenseitig in den Hörer, und ich kann mich wieder Agathe zuwenden, die es sich inzwischen mit Noel auf der Couch bequem gemacht hat.
»Also, was wolltest du
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