Kerzenlicht Für Eine Leiche
deswegen entwickelt. Wie konnte er sich nur so weit vergessen haben? Warum hatte er sie ausgerechnet an diesen Ort bringen müssen? Unter dem Dach seiner Eltern! Und warum, o warum hatte die Unruhe all die Jahre hindurch nicht nachgelassen?
»Ich hätte es längst ablegen müssen«, murmelte Lars zu sich selbst. Entschlossen trat er vor und öffnete die Türen. Er schob sich durch den Vorhang aus eingepackten Kleidern und in die Kapelle. Er schaltete das elektrische Licht ein und schloss die Tür, um sich seiner Phobie zu stellen. Lars war fest entschlossen, sie ein für alle Mal zu besiegen. Der winzige Raum roch muffig. Nicht überraschend, denn es gab kein Fenster. Lars blickte nach oben zu der bemalten Decke und der schaukelnden nackten Glühbirne. Sie beleuchtete das Gemälde von Adam und Eva, längst verblasst und abgebröckelt. Jetzt schienen sie die Gesichter von ihm selbst als junger Mann und dieser Kellnerin zu tragen, mit ihrem lustigen Zahnlückengrinsen. Der Rest des Gesichts war undeutlich und verschwamm in seiner Erinnerung. Er wusste noch, dass sie ein rundes Kinn und dunkles lockiges Haar besessen hatte. Aber das Grinsen, dieses komische und zugleich bezaubernde Grinsen, daran erinnerte er sich ausgesprochen gut. Zu gut. Sein Blick glitt zögernd hinunter zu dem alten gammeligen Sofa. Dort war es geschehen. Auf diesem widerlichen alten Ding hatten sie Liebe gemacht. Zuerst hatten sie nur dort gesessen und zwei Joints geraucht. Das war etwas, das er weder Markby noch Angie verraten hatte und auch niemals tun würde! Die Einzelheiten des Liebesaktes, der sich daran angeschlossen hatte, waren ebenfalls verschwommen. Nur lautes Stöhnen und Hecheln und Schwitzen und Übelkeit wegen des Alkohols, den er in sich hineingeschüttet hatte. Ganz zu schweigen von der übermütigen Ausgelassenheit, die vom Joint herrührte. Doch so betrunken er auch gewesen war, er erinnerte sich noch genau, dass er sich wegen der Flecken Sorgen gemacht hatte. Sie hatte ein Tuch hervorgezogen, versteckt hinter dem Latz ihrer Schürze, und sie hatten es auf das Sofa gelegt, um den Samt zu schützen. Als er sie wiedergesehen hatte, in der Stadt, hatte er sie gefragt, was sie mit dem verschmutzten Tuch gemacht hatte, und sie hatte geantwortet, dass sie es in den Mülleimer draußen vor der Küchentür gestopft habe, wie ganz gewöhnlichen Abfall. Als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkt hatte, hatte sie noch hinzugefügt:
»Keine Sorge, ich habe es in eine leere Cornflakesschachtel gesteckt, die bereits in der Mülltonne lag. Keiner hat es gesehen.« Wahrscheinlich war ihm an dieser Stelle bewusst geworden, dass sie so etwas schon häufiger getan haben musste. Auf anderen Partys, mit anderen Männern. Es war in diesem Augenblick, dass aus dem Verlust an Interesse richtiggehende Abneigung geworden war. Sie war, was seine Mutter ein Flittchen genannt haben würde, eine richtige Schlampe. Sie widerte ihn an. Langsam setzte sich Lars auf das Sofa.
»Mein Gott!«, flüsterte er.
»Was für eine schreckliche Geschichte!« Er verbarg das Gesicht in den Händen. Er wusste nicht, wie lange er so dort gesessen hatte. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung; die Türen öffneten sich, und jemand kam zu ihm herein. Hände packten ihn bei den Schultern. Furchtsam blickte Lars nach oben, halb in der Erwartung, dieses Gesicht mit der Zahnlücke zu sehen. Worte lagen ihm auf der Zunge, er wollte sie fragen, warum sie ihn so verfolgte, wo es doch nichts mehr gab, was er für sie tun konnte. Doch bevor er etwas sagen konnte, erkannte er, dass es seine Mutter war, die über ihn gebeugt stand.
»Ma? Was machst du denn hier?«, flüsterte er.
»Brich mir jetzt nicht zusammen, mein Junge!«, sagte sie leise und eindringlich.
»Du darfst nicht zulassen, dass alles zerstört wird, wofür wir gearbeitet haben! Dieses Mädchen war nichts, und was mit ihr geschehen ist, kann dir egal sein!« Ihre hellen Augen glitzerten, und ihr Gesicht war totenbleich. Mit den blonden Wimpern und dem blonden Haar bot sie einen eigenartigen Anblick, fast wie ein aus Marmor gehauener Kopf. Er fand, dass sie schrecklich aussah. Wie eine Walküre, die gekommen war, um ihn in die eisigen Hallen Walhallas zu führen, ob er nun wollte oder nicht. Mit belegter Stimme sagte er:
»Keine Sorge, Mutter. Ich habe nicht vor, mich davon zerstören zu lassen.« Sie lockerte ihren Griff, ohne die Hände ganz von seinen Schultern zu nehmen.
»Was auch immer geschieht, Lars,
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