Kerzenlicht Für Eine Leiche
stand.
»Derek schloss die Beifahrertür auf und ließ mich einsteigen. Dann ging er noch einmal zum Vikar zurück und redete ein letztes Wort mit ihm. Es dauerte recht lange. Derek brachte seine Unterlagen immer in einem dieser kleinen flachen Koffer mit zu den Sitzungen, Keine gewöhnliche Aktentasche, wenn Sie verstehen, sondern so ein steifer Koffer mit Schlössern.«
»Ich weiß, ich kenne diese Dinger«, versicherte ihr Meredith.
»Ein Diplomatenkoffer.«
»So nennt man sie? Nun ja, jedenfalls weiß ich nicht, warum Derek so einen haben musste. Vielleicht, damit er wichtiger aussah. Bestimmt sogar.« Mrs. Etheridge fummelte erneut am Spitzenbesatz der Decke.
»Er hatte seinen Koffer auf den Fahrersitz gelegt. Er redete so lange mit dem Vikar, dass ich mich zur Seite beugte, um zu sehen, was die beiden machten. Dabei warf ich den Koffer vom Sitz. Er war nicht abgeschlossen. Der Deckel klappte auf, und alles fiel heraus.«
»Aha?« Vielleicht hatte es sich tatsächlich so zugetragen. Vielleicht hatte sie aber auch nur neugierig geschnüffelt. Doch offensichtlich hatte Janet Etheridge etwas Unerwartetes gefunden.
»Ich hob alles auf und schob die Papiere zusammen, um sie wieder zurückzulegen. Und …«, sie errötete womöglich noch stärker, »… ich war völlig schockiert. Unter den Papieren lag ein … ein Magazin.«
»Ein Gemeindebrief?« Mrs. Etheridge bedachte Meredith mit einem vernichtenden Blick und sagte mit einiger Schärfe:
»Nein, meine Liebe. Eins von diesen Magazinen! Für Männer. Eine bestimmte Sorte von Männern!«
»Ein schwedisches Magazin?«, rief Meredith.
»Lächerlicher Name! Dieses Magazin hieß …« Mrs. Etheridge atmete tief durch.
»Nackedeis!« Ihre Röte verwandelte sich in Blässe.
»Ich hatte noch nie im Leben solche Bilder gesehen! Frauen, die … Sachen machten! Sie posierten in den … in verwerflicher Weise. Ich … ich schob hastig alles wieder in Dereks Koffer zurück und schloss ihn. Natürlich habe ich dem jungen Beamten heute Morgen kein Wort davon erzählt, aber seit jenem Abend habe ich Derek Archibald nie wieder gemocht!« Meredith erkannte, dass das Thema des unglücklichen Metzgers damit abgeschlossen war. Sie probierte eine andere Taktik.
»Wegen Bullen, dem früheren Totengräber. Er muss sehr alt sein. Ich würde sagen, er weiß eine ganze Menge Geschichten zu erzählen, Geschichten aus der Gegend. Ich hatte überlegt, ob ich ihn nicht irgendwann einmal besuchen soll.«
»Nat Bullen kennt höchstens die Geschichte der einheimischen Pubs!«, ereiferte sich Mrs. Etheridge grimmig.
»Ich bezweifle, dass er sonst noch etwas weiß! Ein Trunkenbold, wie er im Buche steht! Alt, aber nicht weise! Ich rate Ihnen, reden Sie nicht mit Nat Bullen. Er ist ein ununterbrochen fluchender widerwärtiger alter Mann.« Damit war das Thema Bullen offensichtlich ebenfalls abgeschlossen. Mrs. Etheridge schien in ihrem zweifellos untadeligen Leben mehr als genug moralisch verderbte Männer kennen gelernt zu haben. Meredith fragte sich, wie der verstorbene Mr. Etheridge wohl gewesen war. Sie sah nirgendwo Fotografien von ihm. Mrs. Etheridge sammelte die Kaffeetassen ein. Meredith verstand den Wink.
»Ja. Danke für den Kaffee und … und die Unterhaltung. Ich werde an das denken, was Sie über … über Nat Bullen gesagt haben.«
»Verderbtheit«, informierte Janet Etheridge ihre Besucherin, »Verderbtheit lauert überall.«
Meredith spazierte in die Stadt und kaufte eine Zeitung. Einer plötzlichen Eingebung folgend ging sie weiter, bis sie beim Pfarramt ankam. Auf der Suche nach jemandem, der nicht verdorben war, vermutlich.
Pater Holland war in seinem Arbeitszimmer, doch als sie durch die nie verschlossene Tür in den Hausflur trat und nach ihm rief, kam er herausgeschossen.
»Oh, Meredith!« Er stand niedergeschlagen in der Tür zum Arbeitszimmer. Dann flackerte ein Hoffnungsschimmer über sein bärtiges Gesicht.
»Hat Alan Sie geschickt?«
»Nein. Warum? Erwarten Sie eine Nachricht von Alan?«
»Ja – das heißt nein. Ich weiß es nicht, Meredith. Es geht um
Gordon Lowe. Wir können den armen Burschen nirgendwo finden! Er ist spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt!«
Meredith folgte dem Vikar zurück in dessen Arbeitszimmer und nahm in einem der alten Lehnsessel Platz. James Holland setzte sich ihr gegenüber und verschränkte die Hände auf den Knien seiner Soutane. Er sah ganz unglücklich aus.
»Vielleicht ist Gordon ja auch nur zu einem
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