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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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zu mir umdrehte, und machte Anstalten, etwas zu sagen, doch ihre Mutter, der der Blick, den wir wechselten, nicht entging, fasste ihre Tochter fest am Ellbogen und führte sie zur Tür. Sophia schielte noch einmal über ihre Schulter. Ihr Gesicht schien derweil einen flehenden Ausdruck anzunehmen, das konnte ich mir allerdings auch nur eingebildet haben.
    »Es tut mir leid, dass ich Euch so salopp angestoßen habe, Doktor Bruno«, flüsterte Godwyn, als der rothaarige junge Mann, der die Kapelle aufräumte, auf uns zukam und dem Bibliothekar die letzte flackernde Kerze reichte. »Aber ich fürchtete, Ihr könntet Schwierigkeiten haben, der Predigt zu folgen – unsere Art, einen Gottesdienst zu zelebrieren, muss Euch doch sehr merkwürdig vorkommen.«
    »Nicht allzu sehr«, erwiderte ich, dabei sah ich Sophia nach,
bis sie aus meinem Blickfeld verschwunden war, ehe ich mich wieder lächelnd zu ihm umdrehte. »Ihr habt schließlich einen großen Teil von uns übernommen.«
    Godwyn lachte höflich.
    »Doch sagt mir … wie fandet Ihr unseren kleinen Chor?«, fragte er, als wir auf die Tür zusteuerten, dabei schützte er die Kerzenflamme mit den Händen vor dem Luftzug, der von der Treppe zu uns herüberwehte.
    »Ich habe doppelt so große Chöre die Psalmen schlechter singen hören«, gab ich wahrheitsgetreu zurück.
    »Das musikalische Arrangement stammt von Master Byrd, dem Hofkomponisten Ihrer Majestät«, erklärte er mir, angetan von meinem Lob.
    »Ist er nicht ein Katholik?«
    Godwyn machte ein bestürztes Gesicht.
    »Nun ja – aber ich bewundere ihn nicht deswegen«, beteuerte er hastig. »Wenn die Königin um seiner Musik willen seinen Glauben tolerieren kann, dann wüsste ich nicht, warum wir nicht dasselbe tun sollten.«
    »Da stimme ich Euch von ganzem Herzen zu. Und Ihr habt Eurer Lesung aus dem Evangelium eine beeindruckende poetische Note verliehen«, tönte ich noch salbungsvoll.
    »Danke. Diese Aufgabe fällt eigentlich dem stellvertretenden Rektor zu, aber da Doktor Coverdale heute Morgen nicht zur Morgenmesse erschienen ist, hat der Rektor mich gebeten, für ihn einzuspringen.«
    Statt den Undergraduates die Treppe hinunter zu folgen, überquerte Godwyn den Treppenabsatz, trat zu einer niedrigen Holztür gegenüber dem Eingang der Kapelle und bedeutete mir hinterdreinzukommen.
    »Wenn ich mich recht erinnere, hattet Ihr Interesse an unserer Bibliothek bekundet, Doktor Bruno – wollt Ihr sie Euch jetzt ansehen, da Ihr schon einmal hier seid? Es sei denn, Ihr habt es eilig damit, Euer Frühstück einzunehmen!«, fügte er hinzu. »Würdet Ihr die hier einen Moment halten, bitte?«

    Er reichte mir die Kerze, löste einen Schlüsselring von seinem Gürtel und wählte den größten Schlüssel aus.
    »Es wäre mir ein Vergnügen«, nickte ich, obwohl mich seine Bemerkung über Coverdales Abwesenheit gerade viel mehr interessierte. Ich beschloss, die Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. »Ist Doktor Coverdale kurzfristig verreist?«
    »Wenn dem so sein sollte, hat er es niemandem mitgeteilt.« Godwyn klang pikiert. Er drehte den Schlüssel im Schloss und schob die schwere Tür auf, die so protestierend knarrte, als beschwere sie sich über die Störung.
    Ich musste an den Jungen denken, der Coverdale am Vorabend mitten in der Disputation eine Nachricht überbracht hatte, nach deren Erhalt er den Saal unverzüglich verlassen hatte – und an Cobbetts Bemerkung, Coverdale sei in höchster Eile zur Universität zurückgekehrt. Es machte mich stutzig, dass der Pförtner einen neuerlichen Aufbruch nicht erwähnt hatte, es sei denn, Coverdale wäre in der Nacht oder früh am Morgen unbemerkt an dem alten Mann vorbeigeschlüpft. Ich fragte mich, ob das Verschwinden des stellvertretenden Rektors etwas mit der gerichtlichen Untersuchung von Roger Mercers Tod oder den Drohungen zu tun hatte, mit denen er mich an einer wahrheitsgetreuen Aussage hindern wollte.
    »Merkwürdig. Mir fiel auf, dass Master Slythurst, der Quästor, ebenfalls nicht anwesend war«, bemerkte ich obenhin.
    Godwyn winkte ab, als er die Tür hinter sich schloss.
    »Slythurst ist oft unterwegs, das gehört zu seinen Pflichten. Er muss die Ländereien der Universität regelmäßig überprüfen, und sie liegen in der ganzen Grafschaft verstreut, einige sogar mehrere Tagesritte von Oxford entfernt. Ich glaube, er ist heute Morgen nach Buckinghamshire aufgebrochen, er hat dort etwas zu erledigen, aber wir erwarten ihn morgen

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