Killerspiel
Anrufbeantworter hatte. Noch einmal hörte ich mir meine früheren Nachrichten an. Bei Tageslicht betrachtet, wurde mir klar, dass sie zwecklos waren und die letzten sehr betrunken klangen. Davon abgesehen passte der Unterton zunehmender moralischer Entrüstung nicht recht zu der Tatsache, dass ich selbst letzte Nacht nicht nach Hause zurückgekehrt war. Ich löschte sie eine nach der anderen.
Doch dann hörte ich, ganz zum Schluss, noch eine andere Nachricht ab. Sie war heute früh aufgesprochen worden, und diesmal war sie für mich, wenn auch weder von Steph noch Hallam oder sonst jemandem, den ich kannte.
Sie war vom Krankenhaus.
Sarasota Memorial ist ein großes, modernes weißes Gebäude mit einer ausladenden Zufahrtsstraße und schönen Bäumen davor. Ohne die Flagge und die Schilder hätte es leicht ein großer Gebäudekomplex von Eigentumswohnungen sein können. Ich rannte in den Haupteingang und fand heraus, dass sich die Intensivstation im dritten Stock befand. Ich entdeckte einen Lift. Betrat ihn, blinzelnd und nervös.
Oben stürzte ich in einen geräumigen Wartebereich, der spärlich besucht und in ruhigen, zweckmäßigen Farben und Formen gehalten war.
Ich ging zum Informationsschalter, nannte meinen Namen und erklärte, zu wem ich wollte. Ich bekam es umso mehr mit der Angst zu tun, als die Schwester sofort wusste, um wen es ging. Sie teilte mir mit, jemand würde gleich bei mir sein, und griff zur Gegensprechanlage.
Ich stieß mich von der Theke ab und atmete ein paarmal tief ein, um mich ein wenig zu beruhigen. Mir fiel ein nervös aussehender Mann Mitte zwanzig auf, der mit gefalteten Händen auf einer der Bänke saß. Ich war mir intuitiv sicher, dass er darauf wartete, von seiner Frau zu hören, eine Schwangerschaft, eine bevorstehende Geburt. Vielleicht hatte er auch einen supermiesen Grund, hier zu sein, aber das glaubte ich nicht. Wahrscheinlich verlief alles in seinem Leben in geordneten Bahnen.
Ich wünschte mir, ich wäre nicht ich, sondern er.
Ein Mann in weißem Kittel erschien am Eingang zu einem Seitenflur, und die Stationsschwester deutete auf mich. Ich eilte zu ihm, noch bevor er einen Schritt in meine Richtung gemacht hatte.
Er führte mich den Flur entlang in einen weiteren Seitentrakt, ohne etwas zu sagen. Im hinteren Teil befand sich ein Bereich, in dem die einzelnen Räume teils durch Glaswände abgetrennt waren, damit man jederzeit sehen konnte, was darin vor sich ging. Er führte mich zu einer davon. Ich schaute hindurch.
In einem Bett lag – mit geschlossenen Augen und Plastikschläuchen, die in ihren Körper geleitet wurden – Stephanie.
Ihre Haut war bleich und schlaff und schien an den Knochen, Wangen und Handgelenken herunterzuhängen. Ihre Augenlider schimmerten violett. Sie sah nicht wie meine Frau aus. Sie sah aus, wie Steph sich vielleicht in einem Alptraum in zersprungenen Spiegeln erschienen wäre.
»Um ehrlich zu sein«, sagte der Arzt, »sind wir uns nicht hundertprozentig sicher, womit wir es zu tun haben. Als sie eintraf, erbrach sie, was nicht schwer zu diagnostizieren war, da sie viel getrunken hatte. Doch dann erfuhren wir, dass sie auch Diarrhö gehabt hatte, blutige Diarrhö, woraufhin wir von einer bakteriellen Infektion ausgegangen sind. Es sah ganz nach hämolytisch-urämischem Syndrom und Nierenversagen aus, was ins Bild passen würde, in ihrem Alter und bei ihrem Gesundheitszustand allerdings ungewöhnlich wäre – und es gibt keine früheren Anzeichen für Nierenprobleme, richtig? Doch dann stellten wir ein allgemeines Nachlassen der Organfunktionen fest, in einem Ausmaß, dass wir eine neue Testreihe gestartet haben, zu mehr oder weniger allem, von Kolibakterien bis hin zu ein paar seltenen Biotoxinen in Meeresfrüchten.«
Endlich legte er eine Pause ein, als wollte er mir Gelegenheit geben, etwas zu sagen. Mir fiel nichts ein, und so, wie ich die Hand vor den Mund gepresst hatte, hätte er ohnehin kein Wort verstanden.
»Es könnten Kolibakterien sein«, sagte er, als wäre das irgendwie beruhigend. »Wir pumpen sie mit Antibiotika und Flüssigkeit voll und löschen die anderen Brände, so gut es geht. Im Moment ist das alles, was wir tun können.«
Sie sah so bleich, so kaputt aus, schien so weit weg zu sein.
»Ist sie bei Bewusstsein?«
»Ab und zu. Bis vor ungefähr vierzig Minuten war sie ansprechbar, jetzt scheint sie zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit hin und her zu dämmern.«
»Ich muss zu ihr.«
»Nicht
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