Killerspiele: Palinskis fünfter Fall (German Edition)
etwas mehr als einer Viertelstunde war er sich sicher, dass das Gefundene eine ›Dienstreise auf eigene Kosten‹ durchaus rechtfertigen würde.
Nachdem er zweimal vergebens versucht hatte, den Autor von ›Spiele im Schatten‹ zu erreichen und ihm jedes Mal nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, rang sich Wiegele zu einem sachlich noch nicht ganz vertretbaren, gefühlsmäßig aber völlig verständlichen Entschluss durch. Er würde in jedem Fall in die österreichische Hauptstadt fahren, egal, ob er seinen Freund Palinski vorher erreicht haben würde oder nicht. Mario musste am Wochenende einfach Zeit für ihn haben.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, fühlte er sich das erste Mal an diesem Tag besser. Und so rief er Marianne nochmals an, um mit ihr ein Treffen in Wien zu vereinbaren: für Samstagmittag im Hotel ›Wild‹ in der Salmannsdorfer Straße.
3
Freitag, 25. Oktober, Vormittag
Der Wiener Mario Palinski war 45 Jahre alt und Leiter des von ihm selbst überwiegend aus Marketingüberlegungen gegründeten ›Instituts für Krimiliteranalogie‹, was wie grober Unfug klang und es zum Teil auch war, soweit es das von ihm selbst geschaffene Kunstwort betraf, von dem kein Mensch wusste, was es eigentlich bedeuten sollte. Dass andererseits aber auch kein Mensch den Mut aufbrachte, den skurrilen Begriff zu hinterfragen, aus Angst, sich zu blamieren, war ein Quell ständiger Heiterkeit für das eigenbrötlerische Schlitzohr.
Seit kurzem war Palinski auch Autor. Sein Erstlingswerk, ein Kriminalroman mit dem vielsagenden Titel ›Verdammt und umgebracht«, war gerade erst vor fünf Wochen in einem kleinen, aber feinen süddeutschen Verlag erschienen.
Die schriftstellerische Tätigkeit ergänzte sein breites, berufliches Spektrum, dessen Kern im Vergleichen und Beschreiben der Interdependenz zwischen realen und fiktiven Verbrechen bestand, in kreativer Hinsicht. Und wieder einmal wusste niemand, worum es dabei eigentlich ging. Manchmal wusste Palinski es selbst nicht. Aber alle fanden es toll und ein Minister hielt Palinskis Aktivitäten sogar für förderungswürdig.
An diesem Morgen hatte Palinski ausnahmsweise etwas länger geschlafen und das ausgiebige Frühstück mit Wilma, der Frau, die er seit mehr als 24 Jahren nicht geheiratet hatte, sehr genossen. Das Gesprächsthema war natürlich die gestrige, recht erfolgreiche Lesung in einem für seine kulturellen Events bekannten Wiener In-Café gewesen. Palinski hatte sich dafür ein ganz spezielles Programm auf den Leib geschrieben gehabt, das mehr an eine Einmannsatire auf die Kriminalliteratur erinnerte als an einen seriösen Vortrag aus seinem Erstlingswerk. Egal, den Leuten hatte die Show gefallen, sie hatten Spaß gehabt und vor allem: Sie hatten das Buch gekauft, das unter dem Pseudonym Jean Marie Pé erschienen war.
Während er sich noch dem verspielten Tagtraum hingab, auszurechnen, wie lange es auf Basis der bisherigen Verkaufszahlen dauern würde, bis er die erste Million mit den Früchten seiner Fantasie verdient haben würde, meldete sich das Telefon. Wilma, die ihm in letzter Zeit mit einer seltsamen Art von Hochachtung begegnete, die ihrem durch jahrelange und nicht nur liebevolle Auseinandersetzungen gestählten Partner neu und durchaus angenehm war, brachte ihm den Apparat an den Tisch.
»Es ist Margit«, flüsterte sie ihm zu, »und es ist dringend, sagt sie.«
Margit Weismaier war seine Büroleiterin, was für sie als einzige ständige Mitarbeiterin Palinskis sehr viel, andererseits aber auch wieder gar nichts bedeutete.
»Guten Morgen, Mario«, meldete sie sich und kam sofort zur Sache. »Dein Polizistenfreund aus Singen war zweimal auf dem Anrufbeantworter und hat heute schon wieder angerufen. Gerade jetzt zum zweiten Mal. Er bittet um deinen Rückruf. Es sei sehr dringend, soll ich dir sagen.« Dann gab sie ihm eine Handynummer durch, unter der Hauptkommissar Wiegele zu erreichen war.
»Mein Gott, Anselm«, dachte Palinski. Schlagartig hatte er wieder die schrecklichen Bilder von der Ermordung einer jungen Frau, Rosie Apfaltinger, vor Augen, die er rein zufällig aus einiger Distanz hatte beobachten müssen. Im Zuge der Aufklärung dieses außergewöhnlichen Falls, die schließlich fast mit einer riesigen Blamage geendet hätte, hatte er den zunächst etwas spröden Wiegele kennen und schätzen gelernt. Seither hatte er mit Ausnahme einer Karte mit Weihnachtsgrüßen nichts mehr vom Hauptkommissar
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