Kind 44
umklammerte Leo mit den Beinen die Achse.
Auf den Planken hörte er das Getrappel von Füßen, als die Soldaten darüber liefen und hinten absprangen. Er linste über seine Zehen und sah, wie einer der Männer sich bückte und die Schnürsenkel seiner Stiefel zuband.
Er brauchte sich nur einmal umzudrehen, dann würde er Leo entdecken und ihn festnehmen. Doch der Soldat richtete sich auf und eilte im Laufschritt auf eines der Häuser zu. Er hatte Leo nicht gesehen. Leo änderte seine Position, damit er den dritten Laster ins Blickfeld bekam.
Raisa hatte Angst, aber vor allem war sie wütend. Zugegeben, der Plan war schlau, und ihr selbst war auch nichts Besseres eingefallen. Aber alles hing davon ab, wie gut man sich festhalten konnte. Sie war keine Elitesoldatin, hatte nicht Jahre damit verbracht, durch Gräben zu robben oder Wälle zu erklimmen. Ihr Oberkörper hatte nicht die Muskulatur, dass das hier funktionieren konnte. Ihr taten jetzt schon die Arme weh, und zwar heftig. Sie konnte sich nicht vorstellen, die Schmerzen noch eine Minute länger aushalten zu können, geschweige denn eine Stunde. Aber sie konnte auch nicht hinnehmen, dass sie beide nur wegen ihr geschnappt wurden. Nur weil sie nicht genug Kraft hatte. Sollte etwa alles daran scheitern, dass sie zu schwach war?
Sie kämpfte gegen die Schmerzen an und weinte still vor Enttäuschung, dass sie sich nicht mehr festhalten konnte, dass sie sich auf den Boden hinablassen und ihre Arme ausruhen musste. Aber selbst mit einer Pause würde sie nur ein oder zwei Minuten länger durchhalten. Und die Abstände, wie lange sie sich festhalten konnte, würden ganz schnell immer geringer werden, bis sie sich gar nicht mehr festhalten konnte. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Gab es eine Lösung, für die man keine Kraft brauchte? Die Stoffstreifen! Wenn sie sich nicht mehr festhalten konnte, dann würde sie eben ihre Handgelenke an der Achse festbinden. Das würde funktionieren, solange der Wagen nur stehen blieb. Trotzdem musste sie sich erst einmal für einige Minuten auf den Boden ablassen, um sich festzubinden. Und dort, selbst unter dem Laster verborgen, stieg die Wahrscheinlichkeit dramatisch, dass man sie entdeckte. Raisa schaute prüfend nach links und nach rechts und versuchte zu erahnen, wo die Soldaten sich befanden. Der Fahrer war zurückgeblieben, um den Wagen zu bewachen. Sie konnte seine Stiefel sehen und seinen Zigarettenrauch riechen. Eigentlich war seine Anwesenheit ihr sogar recht, denn es bewies, dass sie nicht damit rechneten, dass jemand unter den Laster geklettert sein könnte. Langsam und vorsichtig ließ Raisa sich herab und versuchte, keinen Lärm zu machen. Der kleinste Fehler würde dem Mann ihre Gegenwart verraten. Sie wickelte die Stoffstreifen ab und band ihr rechtes Handgelenk an der Achse fest, dann fing sie mit dem linken an. Den Knoten musste sie mit der bereits festgebundenen Hand machen. Geschafft, die Hände waren fest. Raisa war sehr zufrieden mit sich und wollte gerade ihre Füße unter dem Laster einklemmen, als sie ein Knurren hörte. Sie wandte den Kopf und sah direkt in eine Hundeschnauze.
Leo konnte die Hundemeute sehen, die gerade hinter dem dritten Laster angeleint worden war. Der Milizionär bei ihnen hatte Raisa noch nicht bemerkt. Die Hunde aber sehr wohl, Leo hörte sie knurren – Raisa hing genau in Augenhöhe. Leo konnte nichts unternehmen.
Er wandte den Kopf und entdeckte den Jungen, der ihnen auf der Straße geholfen hatte. Gebannt beobachtete er aus dem Innern des Hauses, was da vor sich ging. Leo ließ sich auf den Boden ab, um einen besseren Überblick zu bekommen. Der Hundeführer wollte sich schon wieder entfernen, aber insbesondere ein Hund zerrte an der Leine und in Raisas Richtung. Leo wandte sich zu dem Jungen um. Der würde ihm noch einmal helfen müssen. Er wies mit Blicken auf die Hunde. Der Junge lief aus dem Haus. Leo konnte nur staunen über den Mut des Kleinen, der sich jetzt der Meute näherte. Wie auf Kommando wendeten sich alle Hunde dem Jungen zu und verbellten ihn. Der Soldat brüllte.
»Zurück ins Haus!«
Der Junge streckte die Hand aus, als wolle er einen der Hunde streicheln. Der Soldat lachte. »Der beißt dir den Arm ab.«
Der Junge zog die Hand zurück. Der Soldat führte die Hunde weg und befahl ihm noch einmal, wieder ins Haus zu gehen. Leo zog sich wieder hoch und presste sich flach an die Unterseite des Lasters. Sie verdankten dem Kleinen nun schon zum zweiten Mal
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