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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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jedoch ihren Weg fort, und die Sargträger stellten ihre Last weit vom Grabmal entfernt auf Brettern ab, die über ein frisch ausgeschaufeltes Grab gelegt worden waren. Janet las die Namen auf den Grabsteinen ringsum und stellte fest, daß hier keine anderen Conways bestattet waren.
    In dieser Ecke, die am weitesten von der Kirche entfernt war, wurden offenbar all jene begraben, die genauso gestorben waren, wie sie gelebt hatten – allein. Janet verspürte tiefes Mitleid mit Teds Tante. Tränen traten ihr in die Augen, und ihre Kehle war wie zugeschnürt.
    Sie zuckte erschrocken zusammen, als eine sanfte Hand ihren Arm berührte. Eine Stimme murmelte so leise, daß sie nicht sicher war, sie wirklich gehört zu haben: »Sie war nicht verrückt. Sie war alles andere als verrückt.«
    Die Hand wurde zurückgezogen, die Stimme verstummte. Mit ihrer schlafenden Tochter auf dem Arm drehte Janet sich um, konnte aber nicht sehen, wer ihr diese Worte zugeflüstert hatte. Verwirrt zwang sie sich, den Worten des Priesters zu lauschen.
    Und wieder fühlte sie sich beobachtet.
    Nach einem letzten Gebet wurde der Sarg langsam in die Grube gesenkt. Wie ihr Mann, so trat auch Janet vor, bückte sich und hob einen Klumpen weicher Erde auf, den sie in die Tiefe warf. Mit dieser Geste und einem leisen »Ruhe sanft« nahm sie endgültig Abschied von der Frau, die sie kaum gekannt hatte, durch deren Tod vor drei Tagen das Leben ihrer Familie jedoch total verändert worden war.
    Als sie sich aufrichtete, sah sie ihn.
    Sein Alter war sehr schwer zu schätzen – irgendwo zwischen vierzig und sechzig. Ein magerer Schwarzer mit graumeliertem Stoppelbart, dessen verschlissene Kleidungsstücke fast schon als Fetzen bezeichnet werden konnten. Er stand auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Friedhofszaun, im Schatten einer der riesigen Magnolien, mit denen der Friedhof bepflanzt war, und ließ die kleine Gruppe am Grab nicht aus den Augen. Das dunkelhäutige Gesicht wurde von Ästen halb verdeckt, so daß Janet seine Miene nicht deuten konnte, aber sie spürte seine Gefühle, so als strahlte er Hitzewellen aus.
    Haß.
    Haß und Zorn.
    Seine stumme Wut machte ihr angst. Gleich darauf wandte er sich ab und schlurfte die Straße entlang.
    »Jake Cumberland«, sagte dieselbe leise Stimme, die sie schon einmal gehört hatte.
    Bestürzt drehte Janet sich um. Eine etwa siebzigjährige Frau blickte Jake Cumberland nach.
    »Kennen Sie ihn?« fragte Janet.
    Die Frau nickte. Sie war klein und gepflegt, trug ein la-vendelfarbenes Kleid und hatte trotz der Hitze einen passenden Sweater um die Schulter gelegt. »O ja, alle kennen Jake. Er lebt in einer Hütte draußen am See, nur mit seinen Hunden, und kommt nur selten in die Stadt.« Mit strahlendem Lächeln reichte sie Janet eine schmale behandschuhte Hand. »Ich bin Alma Morgan und habe in The Willows gearbeitet, bis mir gesagt wurde, ich sei zu alt dafür.« Sie deutete auf ihr Kleid. »Hoffentlich stört es Sie nicht, daß ich kein Schwarz trage. Dies hier war Coras Lieblingskleid, deshalb habe ich es zu ihrem Begräbnis angezogen. Außerdem ist es für Schwarz viel zu heiß, finden Sie nicht auch?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: »Sie sind Janet, stimmt’s?«
    Janet nickte. »Cora Conway war die Tante meines Mannes …«, setzte sie zu einer Erklärung an, wurde aber von Alma Morgan unterbrochen, die ihren Arm umklammerte und tuschelte:
    »Sie war nicht verrückt, das können Sie mir glauben! Achten Sie nicht auf das Gerede der Leute.«
    Die Frau eilte davon, bevor Janet etwas sagen konnte, und während sie noch überlegte, was diese Worte zu bedeuten hatten, wurde sie wieder angesprochen, diesmal von der Dame mittleren Alters, die in der letzten Bankreihe gesessen hatte. Ihr Gesicht war jetzt nicht mehr verschleiert, und ihre warmen blauen Augen funkelten amüsiert.
    »Die Frage ist nur – wie ist es um Alma Morgans eigenen Geisteszustand bestellt?« kommentierte sie, bevor sie sich lächelnd vorstellte. »Ich bin Corinne Beckwith. Mein Mann ist Sheriff von St. Albans.«
    Unerwartet trat Ted neben seine Frau und streckte Mrs. Beckwith die Hand entgegen. »Ich bin Ted Conway, und das ist meine Frau Janet.« Er nahm Janet seine jüngste Tochter ab. »Und hier haben wir Molly, die bei uns das Regiment führt. Möchtest du der netten Dame nicht ›Guten Tag‹ sagen?«
    Noch ganz schlaftrunken, murmelte Molly etwas Unverständliches, bevor sie klar und deutlich verlangte: »Will runter!«

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