Kind der Hölle
sich, und Janet atmete erleichtert auf, denn dieses Thema war mit Sicherheit unverfänglicher als Teds negative Einstellung zur Religion. Doch als er erklärte, daß sie in das Haus seines Onkels ziehen und es in ein kleines Hotel verwandeln würden, verdüsterte sich Vater MacNeills Miene nur noch mehr. »Ein Hotel?« wiederholte er gedehnt. »Nun, ich hoffe, daß sie auf einen Kampf gefaßt sind.«
»Auf einen Kampf?« fragte Ted. »Warum sollte es dazu kommen?«
Der Blick des Geistlichen war unergründlich. »Vielleicht irre ich mich ja«, sagte er rasch – viel zu hastig, dachte Janet, die zutiefst bedauerte, daß Ted seine Ansichten so freimütig geäußert hatte. Kaum in St. Albans angekommen, hatte er sich schon eine wichtige Person zum Feind gemacht. »In einer Kleinstadt gibt es eben nicht Widerstand gegen irgendwelche Veränderungen, nicht wahr?« Vater MacNeill warf einen Blick auf seine Uhr, was Janet als Vorwand für eine Beendigung der Unterhaltung auslegte.
»Allmächtiger, ist es wirklich schon so spät?« rief er denn auch übertrieben bestürzt. »Es tut mir sehr leid, aber ich muß mich jetzt beeilen.«
Während er mit großen Schritten zur Kirche eilte, senkte sich ein unbehagliches Schweigen über die kleine Gruppe am Grab, bis Ted feststellte: »Da bin ich wohl ganz schön ins Fettnäpfchen getreten, was?«
Das kann man wohl sagen, hatte Janet auf der Zunge, enthielt sich aber einer Bemerkung.
Corinne Beckwith war weniger taktvoll. »Vater MacNeill schätzt es nicht, wenn man anderer Meinung ist als er. Das gilt nicht nur bezogen auf Religion, sondern betrifft auch alle anderen Angelegenheiten. Trotzdem glaube ich, daß er sich nicht nur über Ihre Ansichten geärgert hat. Es geht auch um Ihr Haus.«
»Um unser Haus?« wiederholte Janet verblüfft. »Ich dachte, alle würden sich freuen, wenn wir es instandsetzen.«
»Das dürfte nicht der Fall sein. Dieses Haus steht in einer reinen Wohngegend, und wenn Sie dort ein Hotel eröffnen wollen, müssen Sie mit erheblichem Widerstand rechnen.«
»Aber weshalb denn?«, bohrte Janet. »Es würde der Stadt doch Geld einbringen …«
Corinne schüttelte den Kopf. »Geld ist in diesem Fall nicht ausschlaggebend … Im Grunde geht es um Ihre Familie. Es gibt hier sehr viele Leute, die auf den Familiennamen Conway allergisch reagieren.« Sie verzog leicht die Lippen, so als wollte sie sich für ihre Mitbürger entschuldigen.
»Willkommen in St. Albans!«
Vater Devlin tauchte langsam aus seinem tiefen Gebet auf.
In der Kirche war es still, die Totenmesse für Cora Conway längst vorüber.
Mit schmerzenden Muskeln und Gelenken kam er mühsam auf die Beine und schleppte sich in die winzige Zelle im obersten Stockwerk des Pfarrhauses. Diese Zelle war seine Buße, eine Buße, die er sich freiwillig auferlegt hatte. Noch am selben Tag legte er sein Amt als Gemeindevorsteher nieder, übertrug dem jungen Vater MacNeill sämtliche Vollmachten und zog sich in die kleine Zelle zurück, um für den Rest seines Lebens nur über seine eigenen Sünden nachzudenken.
Und um seinem einzigen verbliebenen Beichtkind ein wenig Trost zu spenden:
Cora Conway.
Die Zeit verging sehr langsam, die Jahre zogen sich immer mehr in die Länge, und irgendwann begriff er, daß ihm sogar der Tod vorenthalten wurde.
Er kannte auch den Grund dafür: seine Unfähigkeit, Cora Conway auf irgendeine Weise von den Qualen zu befreien, die ihren Geist zerstörten. Nicht einmal vor drei Tagen, als er sie mit den Sterbesakramenten versehen hatte, war es ihm gelungen, die Dämonen zu vertreiben, die sie so hartnäckig verfolgten.
»Nehmen Sie dies hier mit.« Ihre klauenartigen Finger hatten den abgenutzten Ledereinband ihrer Bibel gestreichelt. »Da steht alles … Alles!« Und als er sich zum Gehen wandte, flüsterte sie: »Das auch!« Mit zittriger Hand griff sie nach der Spieluhr auf dem Tisch neben ihrem Bett. Er selbst hatte sie Cora geschenkt, an dem Tag, als sie ins Sanatorium gebracht worden war. Doch sie hatte sie nie aufgezogen – jedenfalls nicht in seiner Gegenwart. »Nehmen Sie sie mit und lauschen Sie ihrer Stimme.«
Er hatte die Spieldose in die Tasche seiner Soutane gesteckt, die Sterbende ein letztes Mal gesegnet und ihr Zimmer verlassen, niedergedrückt von dem Gedanken an die Last, die diese Frau durchs Leben geschleppt hatte.
Bis heute hatte er ihre Bibel nicht zur Hand genommen. Doch nun ließ er sich vorsichtig auf den Holzstuhl sinken, zog den dicken Band
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