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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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griechischen Klassik nachempfunden waren – ganz sicher war Tahlon nicht, denn seine Kenntnisse über jene historischen Epochen der Alten Erde hatte er in ein externes Gedächtnis ausgelagert, das ihm derzeit nicht zur Verfügung stand.
    Tahlon stieg zusammen mit seinem Assistenten Ranidi aus, der noch kleiner und fragiler wirkte als sonst. Vielleicht war es der Ort, der ihn schrumpfen ließ. Er war gerade erst Kandidat geworden, und ihm stand noch ein langer Weg bevor.
    Ein funkelndes Indikatorlicht wies ihnen den Weg durch die Villa. Bei Tahlons letztem Besuch hatte das zentrale Gebäude von El'Kalentars Domizil aus einem weißen Turm bestanden, der wie ein Eiszapfen geformt gewesen war und bis in die Stratosphäre gereicht hatte. Den Strukturen im Formspeicher waren vermutlich keine Grenzen gesetzt – ein Wunsch des Erlauchten genügte, um die Gebäude zu verändern. Gestern ein Turm, heute eine Villa im klassischen Stil und morgen vielleicht eins der verschachtelten Baumhäuser, die Tahlon in den Wäldern der südlichen Hemisphäre gesehen hatte, in diesem Fall an die arktischen Verhältnisse angepasst. Fantasie und Kreativität gaben den Ausschlag, nicht der Aufwand.
    El'Kalentar erwartete sie in einem offenen Bereich, nicht in eine Toga gekleidet, wie Tahlon halb erwartet hatte, sondern in eine türkisblaue Kombination aus Hose und Jacke, die zuerst den Eindruck erweckte, aus metallisch glänzendem Stoff zu bestehen. Tahlons geschulter Blick erkannte jedoch, dass es sich um einen speziellen Symbionten handelte, der wie das Haus verschiedene Gestalten annehmen konnte. El'Kalentars Haar war pechschwarz und schulterlang, die dunklen Augen groß in einem glatten Gesicht, das nur hier und dort die Andeutungen dünner Falten zeigte. Hochgewachsen und schlank stand der unsterbliche Vorsitzende des Direktoriats in seinem Steingarten, umgeben von einem komplexen Durcheinander aus Säulen, Streben, Brücken und Bögen, die alle aus höchstens fünf Zentimeter großen, glatten schwarzen Steinen bestanden. Weiße Linien durchzogen sie, und wenn das durch die transparente Decke kommende Licht in einem bestimmten Winkel auf sie fiel, pulsierten diese Linien wie die Adern eines lebenden Geschöpfs.
    El'Kalentar richtete einen kurzen Blick auf den kleinen Ranidi, der mit gesenktem Kopf stehen geblieben war. »Wenn Sie gestatten, Provisor … Ich möchte mit dem Präfekten allein sein.«
    »Natürlich, Exzellenz«, sagte Ranidi sofort und wollte seine Datentafel auf einen nahen Tisch legen.
    »Nehmen Sie die Tafel ruhig mit. Ich habe mit Jae gesprochen und von ihm die neuesten Informationen erhalten.«
    »Wie Sie wünschen, Exzellenz.« Ranidi verbeugte sich und eilte so schnell hinaus, dass sich seine Kiemen aufblähten.
    »Erlauchter …« Akir Tahlon senkte ebenfalls den Kopf, aber nur kurz. »Der Magister hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen.«
    »Ich weiß. Kommen Sie, Tahlon, kommen sie.«
    El'Kalentar schien gewisse Veränderungen an seinem Körper vorgenommen zu haben, denn seine Stimme klang anders, voller, und als Tahlon zu ihm trat, bemerkte er blasse blaue Punkte auf Wangen und Kinn. Die Stirn zeigte ein kleines eidechsenartiges Geschöpf aus kupferrotem, halb organischem Metall. Die Kreatur bewegte sich, als sie Tahlons Blick spürte. Ein Implantat? Oder ein Symbiont wie die Kleidung des Erlauchten? Welche Wunder erwarten mich, wenn ich selbst unsterblich geworden bin?, dachte Tahlon.
    Der Vorsitzende des Direktoriats machte eine Geste, die dem ganzen Steingarten galt. »Wie viele Steine sind es, was meinen Sie?«
    Tahlons Blick strich durch den großen Raum. Millionen, wollte er zunächst sagen, aber vermutlich waren es noch mehr. Die Stege und Brücken reichten hundert Meter weit bis zur gegenüberliegenden Seite des offenen Bereichs, und überall ragten Türme und Säulen auf, bestehend aus Tausenden von einzelnen Steinen.
    »Ich weiß es nicht, Exzellenz. Es sind … viele.«
    »Ich habe lange daran gearbeitet, Präfekt«, sagte El'Kalentar. »Fast zwanzig Jahre. Die Steine ruhen aufeinander und stützen sich gegenseitig. Sie befinden sich in einem perfekten Gleichgewicht. Selbst bei den hohen Stegen und Brücken gibt es keine Gravitationsanker.«
    Tahlon, der El'Kalentar kannte, glaubte zu verstehen. »Harmonie, Exzellenz?«
    »In gewisser Weise.« Der Erlauchte hob die rechte Hand. »Hier, nehmen sie.«
    Tahlon nahm einen schwarzen Stein mit zwei dünnen weißen Linien entgegen, etwa drei Zentimeter lang

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