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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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entzieht.«
    »Mit anderen Worten: Der Zufall ist etwas, das Wirkung erzeugt, ohne eine erkennbare Ursache zu haben.«
    »Ja.«
    »Der ›Zufall‹ spielt im Chaos eine wichtige Rolle«, sagte Jae, während es im Hintergrund summte und flüsterte. »Er lenkt Entwicklungen in neue Richtungen. So wie in diesem Fall.«
    »Ich verstehe nicht ganz, Magister …«
    »Ein Tropfen, der ins Meer fällt, bewegt den ganzen Ozean, auch wenn das menschliche Auge es nicht wahrnimmt«, sagte Jae.
    »Ein Schmetterling kann mit seinem Flügelschlag …«
    »… auf der anderen Seite des Planeten einen Sturm auslösen. Es ist eine oft benutzte Metapher, die Menschen hilft, einen Eindruck von der Komplexität nichtlinearer Systeme zu gewinnen. Was wir hier beobachten, Resident, ist das Ergebnis einer Kette von noch nicht bestimmbaren kausalen Beziehungen, die Folgen von großer Tragweite haben können. Ich rate Ihnen, den Vorsitzenden des Direktoriats zu verständigen. Bitte übermitteln Sie El'Kalentar meine Grüße.«
    »Aber … es ist das zweite Filigran«, sagte Akir Tahlon, der sehr wohl wusste, dass die Worte des Magisters mehr waren als ein Rat. »Zwei von mehr als zwanzigtausend.«
    »Es sind zweiundzwanzigtausendvierhunderteinunddreißig. Und dies ist nicht das zweite betroffene Filigran, sondern das fünfte. Es existieren bereits vier Falsche Filigrane, und das von Hajok zeigt die ersten Symptome.«
    Akir Tahlon betrachtete das Herz des Magisters, das nicht Blut pumpte, sondern Energie, durch einen Körper, der an der breitesten Stelle fast siebenhundert Kilometer maß. »Dies ist kein Zufall«, sagte er, als Jaes Worte plötzlich mehr Sinn ergaben als vorher. »Es gibt Korrelationen. Zusammenhänge.«
    »Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass es keine Zufälle gibt, Resident. Sprechen Sie mit El'Kalentar. Dies ist wichtig. Ich wünsche Ihnen ein langes Leben.«
    Damit war das Gespräch beendet. Tahlon ging.

 
5
     
    El'Kalentars Domizil erstreckte sich über mehr als zehntausend Hektar: felsiges, eisverkrustetes Land am Nordpol von Taschka, in der langen polaren Nacht oft von Schneestürmen heimgesucht. Er hatte es weitgehend in seinem ursprünglichen Zustand belassen, nur hier und dort einige der wilden Landschaft angepasste Gebäude hinzugefügt, die ihm vollen Zugang auf die datentechnische Infrastruktur des Direktoriats und den industriellen Leib von Taschka gewährten, der in einer Tiefe von etwa zwei Kilometern begann und bis zum glutflüssigen Kern des Planeten reichte. Der allgemeine Eindruck täuschte ebenso wie viele, sorgfältig gestaltete Details: Taschka, siebte der Einundzwanzig Hohen Welten, war eine gewaltige Maschine, von den Erlauchten benutzt, von den Magistern gepflegt, verwaltet und gesteuert.
    Als der Orbitalspringer den Leitsignalen folgte und sich den Hauptgebäuden des Domizils näherte, überlegte Akir Tahlon erneut, warum El'Kalentar ausgerechnet diesen Ort gewählt hatte, am Nordpol des Planeten. Seine eigene Residenz – noch kein Domizil, solange er nicht zu den Erlauchten zählte – befand sich in Agreda, der größten Stadt auf Taschka, unweit der Kobaltblauen Seen. El'Kalentar gehörte zu den ältesten Unsterblichen und schien ein Mann zu sein, der die Einsamkeit liebte, die ungestörte Gesellschaft seiner eigenen Gedanken.
    Der Orbitalspringer flog an der Abbruchkante eines Gletschers entlang, und Tahlon beobachtete, wie sich ein großer Brocken löste, Tausende von Tonnen schwer, und mit trügerischer Gemächlichkeit ins Meer stürzte. Der neben ihm sitzende Ranidi bemerkte nichts davon und blieb auf die Anzeigen seiner Datentafel konzentriert. Gelegentlich vibrierten seine zusammengefalteten Kiemen.
    Nach einer Weile näherte sich der Springer einer großen Villa, weiß wie der Schnee, der sie auf allen Seiten umgab. Das ausgedehnte Anwesen aus mehreren Haupt- und vielen Nebengebäuden gehorchte von seiner Struktur her klaren architektonischen Linien und vermittelte einen Eindruck von Ordnung, der Tahlons ästhetischem Empfinden schmeichelte und ihm ein Gefühl von Geborgenheit gab. Dies war ein Bollwerk gegen das Chaos, eine feste Burg, die Sicherheit vor unkontrollierten Veränderungen versprach. Der Orbitalspringer sank der Villa entgegen und landete in einem Atrium. Kannelierte Säulen ragten am Rand des mit Marmorplatten ausgelegten Innenhofs fast zehn Meter weit auf und trugen flache Dächer. Die darin eingelassenen Kristalle bildeten Muster, die Motiven aus der römischen und

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