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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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oben ins Schlafzimmer gehen sollte, klappten die Augen wieder zu.
    Stille weckte ihn. Vom Feuer im Kamin war nur noch Asche übrig. Das erste Licht des neuen Tages kam durch die Fenster, und als Winford aufstand und nach draußen sah, stellte er fest, dass der Atmosphärenspringer zurückgekehrt war, ohne dass er etwas gehört hatte.
    Langsam ging er die Treppe hoch, durch eine Stille, die Substanz und Gewicht zu bekommen, seinen Schritten Widerstand entgegenzusetzen schien. Die Tür des Kinderzimmers auf der linken Seite stand einen Spaltbreit offen, und er drückte sie weiter auf, ganz vorsichtig, als fürchtete er sich davor, selbst ein Geräusch zu verursachen. Mit dem Rücken zu ihm saß Ayanne auf einem Stuhl zwischen den beiden Betten, völlig unbewegt und lautlos.
    Etwas schnürte Winford die Kehle zu, als er näher trat. »Ayanne?«, fragte er leise, und seine Stimme erschien ihm doch schrecklich laut.
    Sie gab keine Antwort und saß noch immer reglos.
    Er streckte die Hand aus, legte sie ihr auf die Schulter – und erschrak, als Ayanne plötzlich aufstand und sich mit einem Ruck umdrehte. Sie war blass, und Ringe lagen unter ihren Augen.
    »Es ist deine Schuld«, sagte sie tonlos, ging an ihm vorbei und verließ das Zimmer.
    Winford sah auf die beiden toten Zwillinge hinab.
    Er wusste nicht, wie lange er dastand und starrte, zehn Minuten vielleicht, oder Stunden. Darrell und Tanya, so klein und zart, ihre hohlwangigen Gesichter im Tod erschlafft. Sie mussten wach gewesen sein, als es geschehen war, und Ayanne hatte ihnen nicht die Augen geschlossen. Warum habe ich nichts gehört?, dachte Winford, aber es war ein leiser Gedanke. Andere schrien und fluchten in seinem Kopf, während die Lippen bebten und die Augen feucht wurden. Lass uns warten , rief eine Stimme aus der Vergangenheit. Ayanne hatte warten und die Korrektur erst später vornehmen wollen, wenn die Kinder größer waren. Was spielt es für eine Rolle, wenn sie mit dem Makel aufwachsen?
    Dies ist eine gute Gelegenheit, hatte er erwidert. Hier gibt es Fachleute, die etwas davon verstehen. Wir können uns ebenfalls behandeln lassen.
    Lass uns warten , hatte sie noch einmal gesagt, als sie mit Darrell und Tanya bei Mandap Justian im Vorzimmer gesessen hatten. Aber er hatte beruhigend gelächelt, ihre Hand genommen und gesagt: Bringen wir es hinter uns …
    Und jetzt waren die Zwillinge tot. Endgültig tot, denn eine Rekonversion kam nicht infrage. Nicht so kurz nach einer genetischen Veränderung. Winford starrte auf den Tod in Gestalt von zwei kleinen Körpern hinab und konnte es einfach nicht fassen.
    Und dann dachte er, mit einem Gedanken, der lauter und kälter war als alle anderen: Dafür wird er bezahlen.
    Er, das war Mandap Justian. Und der Preis: sein Leben.
    An diesem Gedanken hielt Winford fest, als er Darrell und Tanya behutsam die Augen schloss und sie zudeckte, als könnte er sie damit vor der Kälte des Todes schützen. Es war ein Gedanke, der seine eigene Kälte besaß, die des Todes, der für jemand anders bestimmt war. Sie half ihm, nicht den Verstand zu verlieren, als er das Zimmer verließ und nach unten ging. Die Tür stand offen, und kalter Wind trug Schneeflocken herein, aber Winford achtete nicht darauf, ging in die Küche und stellte sich vor, wie er Mandap Justian, den Pfuscher, den Mörder seiner Kinder, töten würde. Er zog Schubladen auf, betrachtete Variform-Messer und hielt sie prüfend in der Hand, bis eine scharfe Klinge sang: Ich! Ich bin die Richtige. Überlass es mir.
    Er steckte das Messer ein, streifte mechanisch eine Jacke über und ging nach draußen, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Fußspuren zeigten sich im Schnee und verschwanden etwas weiter unten am Hang zwischen den Bäumen, aber Winford schenkte ihnen keine Beachtung, kletterte in den Atmosphärenspringer und startete. Das Haus und die anderen Gebäude im Tal blieben unter ihm zurück, und wenige Sekunden später nahmen ihn niedrig hängende Wolken auf. Das Messer in seiner Tasche sang noch immer, voller Vorfreude, und hinter der Stirn flüsterten kalte Gedanken, vertrieben die Hitze des Zorns und ließen Platz allein für ruhige, feste Entschlossenheit.
    Kaum eine halbe Stunde später landete der Springer in einer der sieben Bereitschaftszonen in Detorres. Es war eine kleine Stadt mit nicht mehr als zehntausend Einwohnern, und an ihrem Rand ragten die Kuppelbauten des medizinischen Zentrums Bussani auf. Die Sonne kletterte gerade erst über

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