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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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den Horizont, und es war kaum jemand unterwegs. Die meisten schliefen noch, hinter grauen und ockerfarbenen Variform-Wänden, und nur in wenigen Fenstern brannte Licht. Von all dem bemerkte Winford kaum etwas, und er achtete erst auf seine Umgebung, als er das Haus des Korrektors erreichte, nicht weit entfernt von dem einstöckigen, langgestreckten Gebäude mit den Syntho-Maschinen, die alle registrierten Bürger der Stadt mit Lebensmitteln, Kleidung und anderen notwendigen Dingen versorgten. Der eine Teil des Hauses diente Mandap Justian als Wohnung, der andere als Praxis und Laboratorium. In jenem zweiten Teil gab es einen Ausstellungsraum, der über DNS- und RNS-Strukturen, Gendefekte und das mitochondriale Gedächtnis informierte, und dieser Raum war immer geöffnet. Offiziell korrigierte Mandap Justian genetische Defekte und körperliche Missbildungen, bereitete Klone vor und entwickelte individuelle Erweiterungen. Viele Leute, die ihn besuchten, nahmen allein diese Dienste in Anspruch. Andere kamen mit besonderen Wünschen, und diese Kunden führte Justian in ein besonderes Zimmer.
    Winford wartete im Ausstellungsraum, umgeben von flüsternden Displayfeldern und stummen Modellen, die sich zu drehen begannen, wenn ihn seine unruhige Wanderung an ihnen vorbeiführte. Zeit verstrich. Zwei weitere Personen kamen herein, ein junges Paar, das die Daten der Displayfelder mit einem externen Kommunikationsinterface aufnahm und sich dann in eine Ecke setzte. Winford blieb mit dem Rücken zu ihnen vor der Tür stehen, die zum Büro führte. Als er schließlich ein leises Klicken hörte und vor ihm das Bereitschaftssymbol aufleuchtete, öffnete er die Tür und trat in den Flur. Fünf, sechs lange Schritte bis zur nächsten Tür, der des Büros, und dabei fragte sich Winford kurz, über welche Erweiterungen der Korrektor verfügte. Wenn eine telepathische darunter war, wusste er vielleicht schon, was ihm drohte. Während Winford im Ausstellungsraum gewartet hatte, wäre ihm Zeit genug geblieben, sich aus dem Staub zu machen. Oder sich zu bewaffnen. Oder die Observanten in ihrer tausend Kilometer entfernten Niederlassung zu verständigen. Gab es hier einen Transferitor? Wie schnell konnten die Observanten zur Stelle sein und eingreifen?
    Winford öffnete die Tür des Büros.
    Mandap Justian saß an seinem Schreibtisch: etwa fünfzig Scheinjahre alt, dichtes, dunkelbraunes Haar, geschwungene Brauen über dunklen Augen, die Wangen glatt, das Kinn ein wenig zu spitz. Ein freundlich und verständnisvoll wirkender Mann, aber etwas in den Augen verriet ihn. Winford sah es jetzt ganz deutlich: ein Glitzern, dahinter Durchtriebenheit, Schläue und Gleichgültigkeit allem gegenüber, das nicht direkt ihn betraf. Am Kragen seines weißen Hemds steckte ein Doyenabzeichen. Dritte Stufe. Aber sein Weg zur Unsterblichkeit würde hier enden.
    Justian sah auf. »Oh, Sie sind's. So früh? Was …«
    Weiter kam er nicht. Winford trat um den Schreibtisch herum, packte den Korrektor mit der einen Hand und zerrte ihn hoch. Mit der anderen zog er das Messer aus der Jackentasche und hielt es ihm an die Kehle. Die Spitze ritzte die Haut, ein kleiner roter Blutstropfen bildete sich und rann am Hals herab, auf das Doyenabzeichen zu.
    »Sie sind tot«, flüsterte Winford. »Meine Kinder. Sie sind in dieser Nacht gestorben.«
    »Es tut mir leid«, krächzte der Korrektor. Aber in seinen Augen lag kein Mitleid, keine Bestürzung, nur Furcht und … Berechnung. Die rechte Hand bewegte sich. Gab er einem Gesteninterface Zeichen?
    »Du hast sie auf dem Gewissen«, sagte Winford.
    Er ist kalt in seinem Innern, noch kälter als zuvor, und er hört, wie das Messer singt. Stoß mit mir zu, singt es, und sieh ihm dabei in die Augen. Sieh, wie er stirbt.
    Dies ist der Moment. Hier teilt sich der Weg. Der eine führt zurück zu den Regeln der Magister und vielleicht zum Kandidatenstatus, ohne den Makel. Du kannst mit Ayanne durch die Tausend Tiefen reisen, dir die Ausschreibungen der Magister ansehen und entscheiden, wo und wie ihr genug Meriten für die erste Therapie erwerben könnt. Der andere führt endgültig in die Illegalität, und der Pfad verschwindet im Dunkeln; es ist nicht abzusehen, wo er enden wird.
    Es gibt noch andere Möglichkeiten, ihn zu bestrafen, wendet die leise Stimme der Vernunft ein. Melde ihn den Observanten. Hinterlass einen anonymen Hinweis, wenn du nicht riskieren willst, dass die Magister von der Korrektur erfahren. Ruiniere

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