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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Belidor-Systems, Transit nach Gevedon, Lukas warnen. Das war der erste Punkt auf seiner Liste. Wenn sie rechtzeitig kamen und verhinderten, dass die Vision, die er dort gehabt hatte, Wirklichkeit wurde, konnte er noch einmal Lukas' Hilfe in Anspruch nehmen. Außerdem gab es auf Gevedon einen sicheren Ort mit Ausrüstung. Und dann?, fragte sich Esebian, als er im Ruhesessel lag und an die Decke starrte, während Leandra das Schiff durchstreifte. Er musste Crawler in die Datennetze schicken und versuchen, an Informationen über die Erlauchten und das Direktoriat zu gelangen. Wenn er es schaffte, irgendwie die Kommunikation der Magister anzuzapfen … Esebian bezweifelte, dass es ihm selbst mit Erlauchten-Technik möglich gewesen wäre, einen Blick in die Wissenssphäre der Magister zu werfen, ohne dass sie etwas davon bemerkten, den Lauscher lokalisierten und identifizierten. Aber es gab noch eine andere Möglichkeit: Auroras Brainer, Erebos. Er hatte ohnehin in Erwägung gezogen, seine alten Kontakte aufzufrischen, was einen Abstecher in die Gemischten Gebiete unumgänglich machte. Außerdem war es dort leichter, seine Spuren zu verwischen. Die Frage, wie er die Inanspruchnahme gewisser Dienste bezahlen sollte, führte ihn zu einem weiteren Problem: Inzwischen war bestimmt seine Treuhand blockiert.
    Dieser Gedanke bescherte ihm ein Unbehagen, das über die gegenwärtige Situation hinausging. Eine Blockierung oder gar Annullierung der Treuhand bedeutete, dass ihm überhaupt keine Meriten mehr zur Verfügung standen, und ein Kandidat ohne Meriten war auf dem besten Weg, ein Grauer zu werden. Natürlich war er nicht so dumm gewesen, seine gesamten Meriten der Obhut nur einer Treuhand zu übergeben. Es gab mehrere Reserve-Identitäten, die auf eigene Verdienste zurückgreifen konnten, aber die entsprechenden Meriten reichten in keinem Fall für die nächste Therapie, die bald fällig wurde.
    Vage Erinnerungen regten sich bei diesen Überlegungen in Esebian. Er entsann sich, bei der Behandlung die Stimme des Chisnall gehört zu haben, Worte, die ihm zu jenem Zeitpunkt nichts bedeutet hatten. Cambero hatte von biochemischen und biomechanischen Inkongruenzen gesprochen, von gefährlichen Strukturveränderungen und metabolischen Instabilitäten, und damit war nicht nur das neue äußere Erscheinungsbild gemeint gewesen. Esebian dachte an die seltsame Kälte, und plötzlich wurde ihm klar, was sie bedeutete. Die Inkongruenzen betrafen Veränderungen aufgrund der bisherigen Therapien, strukturelle Umgestaltungen der DNS und insbesondere der Fähigkeit seiner Zellen, sich selbst zu erneuern. Die Stimulation der Aktivität von Enzymen wie der Telomerase spielte dabei eine wichtige Rolle. Er kannte nicht alle Einzelheiten der Therapien – vielleicht wussten nicht einmal die Erlauchten bis ins letzte Detail darüber Bescheid, nur die Magister –, aber er wusste, dass sie Retroviren verwendeten, beziehungsweise reverse Transkriptasen wie die Telomerase, welche die RNS als Matrize verwendete und die Endstücke der Chromosomen, die Telomere, wiederherstellte. Bei jeder Zellteilung gingen etwa hundert Nukleotide der Telomere verloren, und dieser Verlust führte letztendlich zur Alterung. Die von den Magistern entwickelten Therapien, denen die Erlauchten ihre Unsterblichkeit verdankten und die mit Meriten bezahlt werden mussten, verwendeten retrovirale Transkriptasen, die verhinderten, dass die Chromosomen bei jeder Zellteilung kürzer wurden. Diese Transkriptasen sorgten dafür, dass die beim Menschen übliche Telomerenlänge von etwa zehn Kilobasen erhalten blieb, und zwar ungeachtet der Anzahl der Zellteilungen . Die Zellen aktivierten nach fünfzig bis hundert Teilungen kein Apoptose-Selbstmordprogramm, sondern teilten und erneuten sich endlos. Andere Enzyme, die ebenfalls Teil der Therapie waren, fungierten als biologische Aufpasser, die dafür sorgten, dass die behandelten Zellen nicht entarteten, was Krebs und ähnliche Krankheiten zur Folge gehabt hätte.
    Doch die auf unendlicher Zellteilung basierende Unsterblichkeit balancierte die ganze Zeit über – bis in alle Ewigkeit, wenn es gut ging – am Rande eines Abgrunds, in dem Krankheit und Tod lauerten. Ständig musste ein ganzes Heer aus biochemischen und biomechanischen Kontrolleuren dafür sorgen, dass die Fähigkeit zur unendlichen Zellteilung nicht zu unendlicher Zellwucherung führte. Die Therapien schufen nach und nach ein inneres Gleichgewicht, und bei Esebian, den

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