Kinder der Ewigkeit
funktionierten. Hinter der transparenten Front des vermeintlichen Ladens zeichnete sich zwischen den Vitrinen eine humanoide Gestalt ab, bei der es sich nicht um Lukas handeln konnte. Esebian sah keine Einzelheiten, aber plötzlich regte sich Unbehagen in ihm.
Er ging schneller und nutzte die größer werdenden Abstände zwischen den Passanten für längere Schritte. Manchmal war Leandra gezwungen, von seiner Seite zu weichen, wenn ihr plötzlich jemand den Weg versperrte, aber sie schloss sofort wieder zu ihm auf.
Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und als Esebian eintrat, erging es ihm wie bei seinem fliegenden Haus über den Experimentalseen von Angar – er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, auch ohne seine Erweiterungen. Mit einer knappen Geste bedeutete er Leandra, beim Eingang zu bleiben, schlich dann an den Regalen vorbei dorthin, wo er zuvor die humanoide Gestalt gesehen hatte. Ein Dämpfungsfeld schien aktiv zu sein, denn der Lärm des Hochzeitsfestes in der Stadt war diesseits der Tür nur als ein leises Brummen wahrzunehmen.
Zwei oder drei Sekunden verstrichen, bevor Esebian begriff, dass das Brummen nicht aus der Wabenstadt kam, sondern aus dem rückwärtigen Teil des Ladens. Auf leisen Sohlen ging er weiter, und nach einigen Schritten bemerkte er einen seltsamen Geruch. Instinktiv wartete er auf einen Hinweis seiner olfaktorischen Sensoren, der sich jedoch nicht einstellte. Er blieb kurz stehen, schnupperte … Es roch verbrannt.
»Ist dein Freund nicht da?«, flüsterte Leandra neben ihm.
Esebian warf ihr einen scharfen Blick zu und deutete zurück zur Tür, aber sie schüttelte den Kopf. Als sie weitergehen wollte, lautlos wie ein Schatten, hielt er sie mit ausgestreckter Hand zurück und setzte sich wieder in Bewegung. Die Düsternis jenseits des Lichts der Punktlampen nahm ihn auf, und der verbrannte Geruch wurde stärker. Er kam von einem Loch in der Rückwand, die ein Kunstwerk der Enha-Entalen gezeigt hatte, eine Blume mit Blütenblättern aus Tausenden von bunten, zu Prismen geschliffenen Glasstücken. Dünne Rauchfäden kräuselten sich zur Decke hoch, an der sich ein Hitzefleck gebildet hatte.
Eine Thermobombe, dachte Esebian, bemerkte Leandras fragenden Blick und schüttelte nur den Kopf. Hinter dem Loch erstreckte sich der Korridor durch den phasenverschobenen Teil der lokalen Raum-Zeit, und diesmal waren die Türen rechts und links nicht geschlossen, sondern standen alle offen. Mattes Licht drang aus einigen Zimmern; in anderen war es dunkel.
In der Düsternis kratzte etwas, und dem Kratzen folgte ein Stöhnen.
Esebian trat durchs Loch und setzte ganz vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um zu vermeiden, dass die Glassplitter unter seinen Schritten knirschten. Im ersten Zimmer auf der linken Seite lag ein etwa anderthalb Meter langes mehrgelenkiges Bein aus bläulichem Metall und weißer Synthomasse, das er sofort wiedererkannte. »Lukas?«, hauchte er.
Leandra erschien erneut an seiner Seite, so lautlos wie zuvor, und ihre Lippen zitterten. Bilder dessen, was hier geschehen war, erschienen vor seinen Augen, und für zwei oder drei Sekunden verlor er fast die Orientierung. Die dunkle humanoide Gestalt … Er sah sie von hinten, wie sie etwas zündete, das mehr war als eine gewöhnliche Thermobombe, denn sie riss nicht nur den getarnten Zugang auf, sondern neutralisierte auch alle Sicherheitsbarrieren. Und im Korridor … Lukas hatte gerade in den ersten Raum fliehen wollen, als ihn ein superkonzentrierter kinetischer Strahl wie der Faustschlag eines Titanen traf und seinen Körper zerfetzte. Ein Bein blieb dicht hinter der Tür liegen. Der Rest …
Es war anders geschehen als in der Vision, die Esebian von Lukas' Ende gehabt hatte. Er hielt sich nicht damit auf, über die Gründe dafür nachzudenken – die Tatsache, dass er nach Gevedon gekommen war, um Lukas zu warnen, mochte die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten bestimmter Ereignisketten verschoben haben –, betrat das Zimmer und fand Lukas weiter hinten, zwischen zwei zerschmetterten Vitrinen, in denen unterschiedlich bestückte Vari-Waffen gelegen hatten. Der menschliche Rumpf hatte seine Gliedmaßen verloren und war an der einen Seite so weit aufgerissen, dass ein Teil des grauweißen Symbionten zu sehen war, der ihn bisher am Leben erhalten hatte. Der ebenfalls verletzte Wurm, dessen Erweiterungen bis ins Gehirn reichten, zitterte und pulsierte, fügte dem synthetischen schwarzen Blut des Sterbenden
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