Kinder des Judas
untersuche sie an Ort und Stelle. Man muss sie nicht mitnehmen, um …«
»In dieser Mühle gehen merkwürdige Dinge vor«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Tagsüber erklingen heulende Geräusche aus dem Küchenschornstein. Wenn ich morgens aufstehe und den erloschenen Herd anfeuere, ist das Ofenrohr oft glühend heiß. Das kann nicht sein.« Jitka lächelte wissend. »Ich habe versucht, hinter den Ofen zu schauen, aber er ist festgemauert. Ich nehme an, dass auch der Kamin bis nach unten verläuft und die Töne, die ich höre, von dort heraufklingen.«
Karol wusste nicht, ob er lachen durfte oder Besorgnis empfinden sollte. Er musste sein Geheimnis früher offenbaren, als er es eigentlich vorgesehen hatte. »Was habe ich nur für eine schlaue Tochter«, murmelte er.
Jitka strahlte und sah ihn an. »Dann habe ich recht?«
»Ja, das hast du. Ich wollte noch ein wenig warten, bis ich es dir zeige. Es ist nicht immer sehr … appetitlich.« Er formte mit der Hand eine Erhebung. »Der Hügel unter der Mühle besteht aus massivem Fels, in den drei Stockwerke getrieben wurden. Früher sind sie genutzt worden, um Mehl und Getreide einzulagern. Als mein Vater die Mühle gekauft hat, ließ er sie umbauen und betrieb darin seine Forschungen. Ich habe die Laboratorien übernommen.«
»Wann darf ich sie sehen, Vater?«, verlangte Jitka begeistert. »Je früher du mir alles zeigst, desto früher kann ich dir dabei helfen. Und selbst forschen!«
»Hmmm.« Karol schüttelte nachdenklich den Kopf, die Glasperlen in der Perücke vibrierten. »Aber … warum nicht?« Er streckte ihr die Hand hin. »Komm, du sollst mein zweites Reich kennenlernen. Aber ich warne dich: Du wirst vieles sehen, was dir Angst machen könnte.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wir haben auf dem Hof oft bei Schlachtungen geholfen. Es macht mir nichts aus, tote Tiere zu sehen.«
»Das, was du nun entdecken wirst, unterscheidet sich von dem, was du bereits kennst!« Seine Stimme klang merkwürdig kalt und überheblich. Karol ließ sie los und begab sich zu der Luke im Boden. »Sei auf das Schlimmste vorbereitet.«
Jitka runzelte die Stirn, da sie seine veränderte Stimmung und die Andeutung nicht einzuordnen wusste. Sie traten immer wieder auf, diese seltsamen Momente, in denen der freundliche und sanfte Vater unvermittelt Züge und Verhaltensweisen aufwies, die zu seinem sonstigen Wesen nicht passten. Er konnte innerhalb eines Lidschlags unheimlich und dämonisch werden, nur um diese düstere Maske gleich darauf zu verlieren und betreten zu schweigen. Sie wusste, dass ihm diese Veränderungen unangenehm waren. Doch zu ihrer eigenen Überraschung machten sie ihr keine Angst – sondern stachelten nur ihre Neugier an.
Gemeinsam stiegen sie nach unten in die Küche.
Karol beugte sich unmittelbar neben der Mühlenachse nach vorne und drückte in ein Astloch in der Diele. Jitka hörte ein leises Klicken, als sei ein Zahnrad eingerastet. Gleich danach senkte sich ein zwei Schritt breites Bodenstück an der Schwelle nach unten und schuf eine fünf Meter lange Rampe. Das Mädchen wunderte sich immer wieder, was es in der geheimnisvollen Mühle alles zu entdecken gab.
»Wird der Zugang auch über das Windrad betrieben?«
»Ja.«
»Was machst du, wenn du Wind benötigst, es aber keinen gibt?«
Karol schritt hinab und winkte Jitka, ihm zu folgen. »Es wird immer Wind geben, wenn ich welchen benötige«, meinte er und klang dabei nicht, als würde er scherzen.
Jitka schlug feuchtwarme Luft entgegen, in der so viele fremde, neue Gerüche mitschwangen, dass sie keinen bestimmten zuordnen konnte.
Im Schein zahlreicher Öllämpchen betrat sie einen gemauerten Raum mit drei Türen. An den Wänden hingen einfache Leinenmäntel sowie Schürzen aus gewachstem Segeltuch, auf denen sich etliche Flecken abzeichneten; einige davon erinnerten sie an Blut. Eine steile Wendeltreppe führte tiefer in den Hügel hinab.
»Hier ziehe ich mich um«, erklärte Karol. »Manchmal kann das Forschen eine schmutzige Angelegenheit sein.« Er öffnete die rechte Tür. »Fangen wir an, Tochter.«
Die Besichtigung dauerte lange.
Sehr lange.
Es ging durch niedrige und hohe Räume: Mal besaßen sie galerieartige Durchbrüche in die Ebenen darunter, mal waren sie nicht tiefer als ein Schrank, hatten aber Türen aus massivem Eisen mit enormen Riegeln.
Jitka sah große Tische mit unterschiedlich geformten Glasbehältern darauf, es gab gläserne Leitungen zwischen ihnen oder offene
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