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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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mehr, als sie sich vorhin bei dem schnellen Blick in das Buch hätte merken können. »Hat da jemand schon mehr gelesen, als ich weiß?«, fragte er mit einer gespielten Rüge.
    Sie nickte eifrig. »Es war zu spannend, Vater«, entschuldigte sie sich. »Ich wusste nicht, dass der Himmel voller …« Sie überlegte kurz, um das neue Wort zu finden, das er sie gelehrt hatte. »… voller
Strukturen
ist und dass es vor vielen Jahrhunderten schon Menschen gab, die sich die Mühe machten, alles zu kar…
kartographieren

    Karol nickte zufrieden. Er sah sich bestätigt. Jitkas Wissensdurst wuchs von Tag zu Tag. Jede neue Erkenntnis beflügelte ihren Verstand mehr, nichts schien sie zu überfordern. Stattdessen suchte sie sich bereits heimlich Aufgaben, wie das Lesen der Sternenkarte. »Es waren Menschen, in deren Tradition wir stehen«, sagte er.
    Grillen zirpten und die Geräusche der Nacht erklangen; mit gleichbleibendem dunklem Schwirren rotierten die Flügel hinter ihnen, die Rahmen ächzten hölzern und warfen Schatten im Mondlicht.
    Jitka hatte einen Kometen entdeckt, den sie an seinem angedeuteten Schweif erkannte. »Schau, Vater!«, rief sie und machte ihm vor dem Okular Platz. »Ob es wohl eine Legende ist, dass die Götter die Sterne erschaffen haben?«
    »Was meinst du, Tochter?«, fragte er, während er den über den Himmel ziehenden Kometen betrachtete.
    »In den griechischen Sagen machen die Götter ihre Gegner oder Helden gelegentlich zu Sternbildern. Nicht immer diejenigen, die es verdient haben, wie ich finde.« Sie trat an ein anderes Fernrohr und suchte den ziehenden Himmelskörper. »Ich hätte Scylla ein solches Ende gegönnt, wenn ich eine Göttin gewesen wäre.«
    »Und natürlich weißt du bereits, wer Scylla ist?«
    »Ja. Ich habe die Sage gelesen. Ein Mädchen, dem von einer eifersüchtigen Zauberin unrecht getan wurde. Scylla wurde in ein Ungeheuer verwandelt, damit sie den Mann, den sie liebte, nicht bekommen konnte. Scylla wurde zu einem unglaublich mächtigen Meeresungeheuer und rächte sich, niemand konnte sich ihr widersetzen.« Jitka dachte an den Janitscharen. »So möchte auch ich sein, wenn ich deine Lehre durchlaufen habe, Vater. Um den Mann zu bestrafen, der mir Mutter genommen hat.«
    »Dann weißt du auch, dass dieses Mädchen für seine Macht einen hohen Preis bezahlen musste.« Karol richtete sich auf und sah seine Tochter ernst an. Er meinte zu spüren, wie sich die kurzen Haare an seinem Nacken unter den Locken der Perücke aufstellten. »Wärst auch du bereit, dich in ein Ungeheuer zu verwandeln?«
    Jitka schwieg.
    »Ja«, kam es nach einer Weile trotzig aus ihrem Mund.
    Karol sah sie von der Seite an. Es war unheimlich, wie nahe seine Tochter soeben der Wahrheit gekommen war. Das Verlangen nach unerbittlicher Rache und das Schicksal, unverschuldet ein Wesen zu sein, das vielleicht schon bald nichts Menschliches mehr an sich haben würde – der Vergleich mit Scylla hätte nicht passender sein können.
     
    »Was mahlt sie eigentlich, Vater?«, fragte Jitka später, während sie gemeinsam den Großen Wagen betrachteten.
    »Ich verstehe nicht?«
    »Nun, die Mühle. Sie ist Tag und Nacht in Betrieb. Mal hast du alle Segel gehisst, mal nur zwei oder drei. Aber sie läuft.« Jitka wandte ihm den Kopf zu, ihre Augen richteten sich auf sein Profil. »Die Achse reicht hinunter in den Hügel und nicht nur bis auf den Boden, habe ich recht?«
    »Ich habe es dir doch erklärt, Tochter: Sie treibt die Pumpe an, damit wir Wasser in der Küche haben. Der Brunnenschacht ist sehr tief, sie benötigt viel Kraft.«
    »Aha«, machte sie und schaute wieder zu den Sternen. »Und wo sind die ganzen Tiere und Pflanzen?«
    »Welche Tiere?« Karol sah zu Jitka hinüber, die ganz arglos die Sterne zu beobachten schien.
    Sie zog es vor, in die Gestirne zu sprechen, dafür drehte er sich zu ihr und musterte die Tochter, die – wie er feststellen musste – einen gefährlich wachen Verstand besaß. »Du hast gesagt, dass du nachts in den Wald gehst und forschst. Tiere und Pflanzen würdest du sammeln. Aber ich sehe keine, Vater. In der Küche sind nur Lebensmittel, dann kommt die Bibliothek, darüber unser Schlafgemach. Es gibt keine Räume, in denen du erforschen könntest, was du doch angeblich sammelst.«
    Dieses Kind hat einen noch viel wacheren Verstand, als ich jezu träumen gewagt habe!
Er bemühte sich, sein Lachen echt klingen zu lassen. »Oh, kleine Nachtigall, ich schaue sie mir an und

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