Kinder des Judas
Leichnam in die Höhe und beförderte ihn mit Schwung auf den Rand des Grabes. »Nimm die Finger und ihren Kopf. Wir müssen uns beeilen und von hier verschwinden. Es kann sein, dass jemand aus dem Dorf den Lärm gehört hat.«
Seine Tochter suchte den Schädel, packte in die feuchten, nach Essig stinkenden blonden Haare der Toten und stopfte alles in den Rucksack zu den Fingern. Dann kletterte sie am Seil hinauf, gleich darauf stand sie neben ihm. Sie sah auf den Leichnam, den er sich über die Schulter geworfen hatte; den Rucksack trug er mit einem Riemen vorm Bauch.
Scylla hatte den unwiderlegbaren Beweis erhalten, dass die Geschichten über Upire stimmten. Mit eigenen Augen! Das Böse, der Teufel nahm Gestalt an und schuf Dämonen, die er gegen die Menschen hetzte. Doch sie empfand weder Angst noch Abscheu, sie dachte wie eine Forscherin, eine Wissenschaftlerin. »Würden uns die Dorfbewohner nicht als Befreier feiern?«, fragte sie gedämpft und sammelte die mitgebrachten Gerätschaften ein.
»Es muss keiner wissen, dass wir es waren. Sonst holen sie uns jedes Mal, wenn es einen Upir gibt, der sie heimsucht. Sollen siedie Arbeit selbst verrichten oder Spezialisten dafür bezahlen«, flüsterte er und lief zurück an die Stelle, wo sie über die Mauer geklettert waren.
Scylla bewunderte ihren Vater. Er stieg über das Hindernis, als würde er eine Treppe hochgehen.
Als er auf der Krone saß, schaute Karol zu den Behausungen in ihrer Nähe, ob sich jemand in der Tür zeigte. Obwohl das nicht der Fall war, beeilten sie sich und liefen zur Kutsche.
Karol öffnete den Verschlag der Kutsche und legte die getötete Upirina auf die ausgebreitete Plane am Boden des Gefährts, Scylla warf den Rucksack mit Kopf und Fingern daneben; anschließend brausten sie zurück zur Mühle.
Scylla sah nach hinten, ob sich Menschen zeigten, doch ihre Abfahrt war unbemerkt geblieben. Als sie sich wieder nach vorne drehte, fiel ihr etwas ein. »Wieso hat sie dich Baron genannt, Vater?«
»Das hat sie nicht.«
Sie vernahm den drohenden Unterton in seiner Stimme. »Aber ich hörte es …«
Karol schwang die Peitsche und ließ sie laut knallen. »Du hast einen harten Schlag gegen den Kopf bekommen, vergiss das nicht. Sie beschimpfte mich als Bastard. Du hast etwas verwechselt.«
Scylla fragte nicht weiter nach, weil sie verstanden hatte, dass sie das nicht tun sollte. Doch ihre Gedanken konnte Karol nicht unterbinden.
Baron,
rätselte sie.
Warum Baron?
Sie erreichten die Mühle und brachten das Wesen in das erste Geschoss des Laboratoriums. Karol legte den Körper auf einen Steintisch, Scylla den Kopf auf den benachbarten. Die Schürzen von Vater und Tochter waren von oben bis unten beschmutzt mit dem zähen Blut.
Karol bedeutete ihr, ihm gegenüber auf die andere Seite desTisches zu treten, wo die verschiedenen Messer, Sägen, Stemmeisen und weitere Gerätschaften zur Sezierung warteten. »Du bist ein sehr tapferes Mädchen, Scylla«, sprach er feierlich und sah sie aus seinen warmen braunen Augen liebevoll an. So kannte und liebte sie ihn. »Das war deine bislang schwerste Prüfung, die du mit Bravour bestanden hast. Selbst ausgewachsene Männer wären in einer solchen Situation in Ohnmacht gefallen. Du dagegen hast kühlen Verstand bewahrt. Ich bin sehr, sehr stolz auf dich.«
Sie nickte und errötete ein wenig. Das Lob ließ sie bis an die Decke wachsen.
Karol sah, dass ihr seine Worte guttaten. »Dann wollen wir sehen, was die Upirina von einer normalen Toten unterscheidet und ob wir etwas Besonderes an ihr erkennen können.« Er zerschnitt das Totenhemd und zog es unter ihr hervor. »Zeig mir, was du gelernt hast.«
»Sehr gerne, Vater.« Scylla schob ihre Trittleiter nahe an den Steintisch, damit sie besser arbeiten konnte, wählte die schärfsten Klingen und wollte mit dem Sezieren beginnen.
Karol hielt sie mit einem tadelnden Zungenschnalzen zurück. »Sieh zuerst am Oberkörper nach, ob wir Bissspuren finden. Womöglich ist sie von einem anderen Upir angefallen worden.«
Scylla entdeckte zwei Löcher in der Haut. »Hier, Vater. Unterhalb der Brustwarzen.«
»Dann ist es klar, wie sie infiziert wurde. Kein Fluch oder Ähnliches, sondern eine Heimsuchung. Wie so oft.« Karol schüttelte den Kopf. »Eine Schande.«
Sorgsam präparierte Scylla die oberste Hautschicht des Brustkorbs ab, trennte unter den wachsamen Augen des Vaters die Epidermis von dem darunterliegenden Fettgewebe. Bei diesem scharfen Messer
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