Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
während sie wie panisch in die Nacht hinein hupten. Der Schweiß rann über sein Gesicht wie Wasser. Er brannte ihn in den Augen. Mit einem Ärmelaufschlag wischte er ihn weg.
    „David! Antworte, zum Teufel! Sag was! Du bringst uns um, verdammt!“
    David starrte auf die Straße, und in seinen Augen las Servaz nichts außer ihrem sicheren Tod. Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass seine Gelenke ganz weiß waren. Der blonde Bart des jungen Mannes schimmerte im schwachen Licht des Armaturenbretts. Und in seinem feuchten Blick. Servaz begriff, wie weit weg war. Er starrte auf die Autobahn vor ihnen, den peitschenden Regen, und wartete, dass das nächste Fahrzeug auftauchte. All seine Sinne waren auf den sicheren, unvermeidlichen Zusammenstoß konzentriert, der jederzeit kommen konnte.
    Als er in der Ferne wieder Scheinwerfer auftauchen sah, kauerte er sich in seinen Sitz. Weitere Lichthupen, als die Fahrer in den entgegenkommenden Autos erkannten, dass ein Geisterfahrer auf sie zuraste. Jetzt höher über der Fahrbahn … stärkere Scheinwerfer … vom Regen verwischt. Ein ohrenbetäubendes Trompeten. Oh nein! Ein LKW! Obwohl Servaz von den grellen Scheinwerfern geblendet wurde, sah er, wie der LKW schwerfällig versuchte, auf die andere Spur zu wechseln, er sah, wie sich seine massige Form zum Verzweifeln langsam von einer Fahrbahn auf die andere schob, sah die riesigen Wasserfontänen hinter den zahlreichen Reifen des Kolosses. Er hörte den Motor aufheulen, das Getriebe knirschen. Die grellen Blitze der Lichthupe stachen in seinen Sehnerven. Er sank in sich zusammen und wartete auf den Moment, in dem David den Lenker herumreißen und sie gegen dieses stählerne Monster knallen würden, erwartete den zermalmenden Aufprall.
    Aber nichts geschah. Die Hupe des stählernen Riesen dröhnte ihm in den Ohren, als er ganz dicht an ihnen vorbeifuhr; er wandte den Kopf und sah durch die Wasserschleier, die an die Scheiben peitschten, die weit aufgerissenen Augen des Fernfahrers, der sie in panischem Schrecken von seiner Kabine herunter ansah. Er holte Luft. Plötzlich begriff er, dass alles, was seit seiner Ankunft in Marsac geschehen war, ihn hierher, auf diese Autobahn hatte führen sollen, dass diese überflutete Fahrbahn wie das Symbol seiner Geschichte war, wie eine Geisterfahrt in seine eigene Vergangenheit. Er dachte an seinen Vater, an Francis, Alexandra, Margot, an Charlène. An seine Mutter, an Marianne … Schicksal, Fatum, Zufall, Intrigen … Wie Atome, wie Teilchen, die aufeinander zurasten, zusammenprallten, zerbrachen – ein Entstehen und Vergehen.
    Es stand geschrieben.
    Oder nicht.
    Plötzlich steckte er die Hand in Davids Tasche. Da, wo der junge Mann sein Telefon verstaut hatte, nachdem er so getan hatte, als würde er Espérandieu anrufen. Seine Finger zogen es aus der Tasche.
    „Was tun Sie da? Lassen Sie los!“
    Das Auto fuhr gefährlich im Slalom von einer Spur auf die andere. Servaz wandte den Blick ab, er nahm keine Notiz mehr von dem, was sich vor ihnen tat. Er führte den Apparat an den Mund, während David ihn am Handgelenk packte und versuchte, ihm das Handy zu entwinden.
    „Vincent, ich bin´s!“ schrie er, obwohl er noch den Wählton hörte. „Hörst du mich? Vincent, Hugo ist es! Hugo ist der Täter! Hörst du mich? HUGO! Der Satz in dem Heft war ein Trick, um den Verdacht von ihm abzulenken! Er wird versuchen, alles auf David zu schieben! Hörst du, was ich dir sage?“ Plötzlich die Stimme von Espérandieu am anderen Ende: „Hallo? Hallo? Bist du´s …, Martin?“ – „Ja, genau“, fuhr er fort, unbeeindruckt davon, dass David ihm einen Faustschlag versetzen wollte, dem er auswich.
    Sie fuhren auf den drei Spuren gleichzeitig, ja sie streiften sogar die Standspur.
    „Kontaktier den Richter! Hugo darf nicht freigelassen werden! Ich kann dir jetzt nicht mehr sagen! Ich erklär´s dir später.“
    Er beendete den Anruf. Diesmal hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Nachbarn.
    „Was haben Sie getan? Was haben Sie getan? “
    „Es ist vorbei, Hugo wird nicht ungeschoren davonkommen. Halt auf dem Standstreifen! Das kannst du dir jetzt sparen! Du hast mein Wort: Du bekommst eine Therapie! Wer soll Hugo im Gefängnis besuchen, wenn du es nicht tust? “
    Abermals Scheinwerfer vor ihnen. Leicht links. Vier Scheinwerfer in einer Reihe. Sehr leuchtstark. Grell. Hoch über der Fahrbahn. Noch ein LKW … Auch David hatte ihn gesehen. Er verließ langsam die mittlere

Weitere Kostenlose Bücher