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Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
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ratgeberische Abseits katapultiert. Immerhin verdankte Hannes diesem Mutter-Tochter-Gespräch sein Leben.
    Niklas nahm für den Rest des Tages frei, um bei seiner Schwester zu bleiben. Er konnte sich nicht vorstellen, was Wolfram zu seiner feigen Flucht getrieben haben mochte. Hannes, der vielleicht dunkel ahnte, was passiert war, schob sich seinem Onkel auf den Schoß. »Papa?«
    Inken hüllte sich in Schweigen. Um sich abzulenken, fing sie an, den Geschirrberg in der Küche zu erklimmen und mit dem Staubsauger durch die Wohnung zu jagen, als wollte sie jedes Haar, jede Hautschuppe von Wolfram entfernen. Die vom Fernseher hinterlassene Lücke füllte sie mit ihrer ansehnlichen Sammlung von Bildbänden zur Düsseldorfer Stadtgeschichte und verkündete abschließend trotzig, der Platz sei so überhaupt viel besser genutzt.
    Niklas konnte seine Schwester überreden, Weihnachten mit ihm und Oliver zu verbringen. Von ihrem Mann gab es keine Spur. Dass er das gemeinsame Sparbuch leergeräumt hatte, entdeckte sie erst später. Er hatte nicht angerufen und schickte keinen Brief. Wolfram war einfach weg.
    Inken verbat sich jede Nachfrage zu seinem Verschwinden, und Frau Tiedemann machte bereitwillig bei diesem Unsinn mit. Sie sang ihre Weihnachtslieder in jenem Jahr besonders laut, als ließen sich damit alle bösen Geister vertreiben, auch die aus ihrem eigenen Albtraum.
    Niklas fügte sich den Spielregeln und steuerte seinen Teil bei, indem er heimlich das Telefon ausstöpselte, nachdem Wolfram eines Nachts betrunken angerufen und nach Inken verlangt hatte. Eine Versöhnung musste auf jeden Fall verhindert werden, zum Wohle seiner Schwester und der Kinder.
    Gleichzeitig setzte er alles daran, Inken ihren voreiligen Plan auszureden, nach Hamburg zu gehen, um dort mit den Kindern ein neues Leben zu beginnen. Im benachbarten Niederkassel besorgte er ihnen ein neues Zuhause. Nun wohnten sie nicht nur in einer besseren Gegend, sondern auch viel näher an seiner Wohnung. Oliver half beim Tapezieren, Niklas renovierte ihr Selbstbewusstsein.
    Welche Geschichte Inken den Kindern, die selten vor Mitternacht zur Ruhe kamen, erzählte, wann immer sie zu ihnen ins Schlafzimmer gerufen wurde, wusste Niklas nicht. Sehr überzeugend log sie jedenfalls nicht, denn immer wieder erwachte Lotte weinend aus wilden Träumen und rief nach ihrer Mutter oder kam ins Wohnzimmer gelaufen. Hier lagen sie zwischen auseinandergeschobenen Möbeln, unter Decken aneinandergekuschelt auf dem Boden und sahen einen Videofilm nach dem anderen an. Kaum lief der Abspann eines Films, zog Inken schon den nächsten hervor. Es durfte bloß keine Stille entstehen, kein Raum für Fragen, etwa wieso sie dort lagen und weshalb Inken nicht zu Hause in ihrer Wohnung war.
    Niklas fühlte sich sehr an alte Zeiten erinnert. Er hatte Inken, und Inken hatte ihn. Da Oliver weder die alten noch die neuen Zeiten gefielen, zog er sich beleidigt nach Köln zurück, und Niklas und seine Schwester heulten sich bei Beaches die Augen aus, als Bette Midler gegen Ende den Tod ihrer besten Freundin beklagen muss und beschließt, für deren kleines Töchterchen zu sorgen.

4 : Zimmer mit Aussicht
    Die Aufzugtür öffnete sich, und eine kleine Prinzessin stürmte auf den Flur der Krankenstation. Sie trug einen Strauß Blumen in ihren Lieblingsfarben vor sich her: Veilchen und gelbe Tulpen. Mit ihrem rosa Kleid und der Krone wirkte Lotte, von der Natur mit feinen Gesichtszügen ausgestattet, wie aus dem Märchen entsprungen. Stolz nahm Niklas sie in die Arme, als Oliver und Hannes singend den Fahrstuhl verließen.
    »Et Schönste, wat m’r han, schon all die lange Johr – es unser Veedel.«
    Der Junge trug zum Kopftuch zwei goldene Reif-Ohrringe; auf seinen schmalen Schultern befand sich ein Papagei aus Stoff, der sein Seeräuberoutfit perfekt machte. Lediglich die Pistole, die er wie ein Cowboy schwang, wirkte etwas fehl am Platz, aber die hatte er sich nicht ausreden lassen.
    »Alaaf!«, rief Oliver.
    »Selber Alaaf!«, antwortete Niklas. »Wie war der Zug?«
    »Na ja.«
    Oliver trug einen alten gestreiften Pyjama von Inken, der ihm viel zu kurz war, sodass er wirkte wie ein Sträfling in seiner Sommergarnitur. Nicht schlimm genug, dass sie sein schönes Vaterschafts-Kostüm in der Eile in Köln vergessen hatten, nun musste er auch noch im verhassten Düsseldorf Rosenmontag feiern. Niklas hatte Mitleid und zwickte seinem Freund liebevoll in die Nase.
    Mit zögernden Schritten betrat

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