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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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konnte ich sie nicht besonders gut sehen, sondern habe nur einen flüchtigen Blick auf sie geworfen. Sie war ziemlich dick angezogen. Wäre Tom nicht gewesen, für den ich Hilfe holen mußte, wäre ich in ihre Richtung zurückgefahren und hätte gefragt, ob ich etwas für sie tun kann.«
    »Ist es ungewöhnlich, dort jemanden laufen zu sehen?«
    »Ja, Ma'am. Zumindest fand ich das damals. Es war meilenweit von jedem Ort entfernt, und da draußen stehen kaum Häuser, von einer einzigen Siedlung abgesehen. Sie hätte ja beim Joggen gewesen sein können, doch dafür schien sie eher unpassend gekleidet zu sein, und außerdem - in der Dunkelheit? Jedenfalls kam es mir seltsam vor. Vermutlich habe ich gedacht, sie hätte sich mit ihrem Freund gestritten und sei zu Fuß davongelaufen. Ich habe kein zweites Fahrzeug gesehen, also glaube ich nicht, dass sie einen Platten oder irgend so was hatte.«
    »Und Sie kannten sie nicht?«
    »Ich kann es wirklich nicht sagen. Es war niemand, den ich unter diesen Umständen erkannt hätte. Wie gesagt, ich habe mir nicht viel dabei gedacht, und später ist es mir völlig entfallen. Ich weiß nicht einmal, wie ich jetzt darauf gekommen bin. Vermutlich, weil Sie gefragt haben.«
    Ich dachte einen Augenblick nach. »Wie weit war sie von Toms Wagen entfernt, als Sie sie sahen?«
    »Höchstens vierhundert Meter, weil ich Toms Warnblinker in der Ferne sehen konnte.«
    »Glauben Sie, dass sie mit ihm zusammen war?«
    »Ich halte es für möglich«, antwortete er. »Wenn er Brustschmerzen hatte, hat sie sich vielleicht auf den Weg gemacht, um Hilfe zu holen.«
    »Warum hat sie nicht Sie angehalten?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll.«
    »Ich würde gern die Stelle sehen, wo Tom geparkt hatte«, sagte ich. »Könnten Sie mich vielleicht später dorthin bringen?«
    »Sicher, gern, aber die Stelle ist nicht schwer zufinden. Es ist vielleicht eineinhalb Kilometer in diese Richtung. Suchen Sie nach zwei großen Felsen neben einer Kiefer mit fehlendem Wipfel. Der Baum wurde letztes Jahr bei einem heftigen Gewitter vom Blitz getroffen. Halten Sie einfach die Augen offen. Sie können es gar nicht verfehlen. Es ist auf der rechten Straßenseite.«
    »Danke.«
    Er blickte zu einem der Tische im vorderen Teil des Lokals. »Mein Frühstück ist gekommen. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, rufen Sie mich einfach an.«
    Ich sah ihm nach. Hatch und Macon standen gemeinsam an der Kasse und warteten darauf, dass ihnen Nancy ihr Geld abnahm. Meine Unterhaltung mit James war nicht unbemerkt geblieben, obwohl sich beide Männer demonstrativ uninteressiert gaben. Rafer kam zurück und betrat das Lokal ohne den Mann von der Spurensicherung, der sich vermutlich gerade in der Hütte mit seinen Bürstchen und Pülverchen ans Werk machte. Rafer ließ sich auf den Sitz gleiten und sagte: »Entschuldigen Sie. Ich habe ihm gesagt, wir kommen rüber, sobald wir hier fertig sind.«

13
    Als wir nach dem Frühstück zur Hütte kamen, stand dort die Tür offen. Ich konnte Pulverspuren entlang den Außenkanten der Fensterbretter erkennen. Rafer stellte mich dem Mann von der Spurensicherung vor, der mir die Fingerabdrücke abnahm, um sie ausschließen zu können. Später wiederholte er das gleiche bei Cecilia und dem gesamten Putz- und Wartungspersonal. Er hätte sich die Mühe sparen können. Die Hütte gab keinerlei Beweismittel her: weder brauchbare Abdrücke an den Fensterscheiben noch an den Metallgegenständen und auch keine Fußspuren in der feuchten Erde, die zur Hütte oder von ihr weg geführt hätten.
    Das Innere wirkte klamm, und im Bett lag immer noch das Kissenarrangement, das ich unter den Stapel Decken drapiert hatte. Der Raum war trostlos. Er war kalt. Der Digitalwecker blinkte, was hieß, dass es einen erneuten Stromausfall gegeben hatte. Das Adrenalin war nach und nach aus mir herausgesickert wie graues Wasser durch einen verstopften Abfluß. Ich fühlte mich beschissen. Ein Schauder des Widerwillens lief mir den Rücken hinunter, und ein weiteres Mal schämte ich mich meiner Unzulänglichkeit beim Versuch, mich selbst zu verteidigen. Beklemmung meldete sich unten an meinem Rückgrat, ein federleichter Denkzettel daran, wie verletzlich ich war. Eine Erinnerung kam an die Oberfläche. Ich war wieder fünf Jahre alt, verletzt und blutend nach dem Autounfall, bei dem meine Eltern ums Leben gekommen waren. Ich hatte den körperlichen Schmerz vergessen, weil der entsetzliche

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