Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
emotionale Verlust seit jeher im Vordergrund gestanden hatte. Während Rafer und der Mann von der Spurensicherung sich draußen in gedämpftem Tom beratschlagten, holte ich meine Reisetasche heraus und begann meine Sachen zu packen. Ich ging ins Badezimmer, sammelte meine Toilettenartikel zusammen und warf sie unten in die Tasche. Ich hörte Rafer nicht hereinkommen, merkte aber plötzlich, dass er in der Tür stand. »Sie reisen ab?« fragte er. »Ich wäre verrückt, wenn ich hierbliebe.«
»Da gebe ich Ihnen recht, aber ich dachte, Sie wären mit Ihren Ermittlungen noch nicht fertig.« »Das wird sich noch herausstellen.«
Sein Blick ruhte voller Besorgnis auf mir. »Möchten Sie sich aussprechen?« Ich sah zu ihm auf. »Worüber? Für mich ist das ein simpler Job, kein moralischer Imperativ. Ich werde für meine Arbeit bezahlt. In dieser Hinsicht habe ich wohl meine Grenzen.« »Sie hören auf?«
»Das habe ich nicht gesagt. Zuerst spreche ich mit Selma, dann sehen wir weiter.«
»Hören Sie, ich merke genau, dass Sie beunruhigt sind. Ich würde Ihnen ja Schutz anbieten, aber ich kann keinen Hilfssheriff entbehren. Wir pfeifen hier sowieso schon auf dem letzten Loch...«
»Danke für die Anteilnahme. Ich lasse Sie wissen, wie ich mich entschieden habe.« »Es könnte nicht schaden, Hilfe zur Seite zu haben. Kennen Sie irgend jemanden, der in puncto persönliche Sicherheit einspringen könnte?«
»Oh, bitte. Nur das nicht. Das würde ich nicht machen. Es ist einzig und allein mein Problem, und ich komme durchaus damit klar«, sagte ich. »Glauben Sie mir, ich bin weder stur noch stolz. Ich habe schon einmal einen Bodyguard engagiert, aber das hier ist anders.«
»Inwiefern?«
»Wenn dieser Typ mich umbringen wollte, hätte er es letzte Nacht getan.«
»Hören Sie, ich bin auch schon zusammengeschlagen worden, und ich weiß, wie sich das auf einen auswirkt. Man wird ganz wirr im Kopf. Man verliert das Selbstvertrauen. Es ist wie beim Reiten ...«
»Nein, ist es nicht! Ich bin auch schon öfter zusammengeschlagen worden...«
Ich hob die Hand und unterbrach mich kopfschüttelnd selbst. »Ich weiß, Sie meinen es gut, aber ich muß selbst mit der Sache klarkommen. Mir fehlt nichts. Ich will nur keine Minute länger in diesem gottverlassenen Loch verbringen.«
»Gut«, sagte er, und in seiner Stimme lag Skepsis. Schweigend stand er da, die Hände in den Taschen, und wiegte sich auf den Hacken. Ich zog den Reißverschluß der Tasche zu, nahm Jacke und Tasche und sah mich in der Hütte um. Der Tisch war immer noch mit meinen Papieren übersät, und ich hatte die Smith-Corona vergessen, die nach wie vor mit halbgeschlossenem Deckel an ihrem Platz stand. Ich ließ den Deckel einrasten, stopfte die Blätter in einen großen Umschlag und diesen in ein Außenfach der Reisetasche. Mit der linken Hand umfaßte ich die Schreibmaschine. »Danke fürs Mitnehmen und für das Frühstück.«
»Ich muß jetzt zur Arbeit, aber sagen Sie mir Bescheid, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.«
»Sie könnten das hier tragen«, sagte ich und reichte ihm die Schreibmaschine. Er ließ sich nicht lumpen und trug mir Reisetasche und Schreibmaschine, als er mich zum Auto begleitete. Ich wartete, bis er weggefahren war, ging zum Büro und steckte den Kopf zur Tür hinein. Cecilia war nirgends zu sehen. Die Tischlampe brannte wie gewohnt, aber ihre Tür war zu, und ich vermute, dass sie den verlorenen Schlaf von letzter Nacht nachholte. Ich stieg ins Auto, verließ den Parkplatz und bog nach links auf den 395 ein. Ich sah auf den Kilometerzähler, fuhr eineinhalb Kilometer weit und begann, nach der Stelle Ausschau zu halten, wo Toms Pickup an dem Abend geparkt war, als er starb. Wie Tennyson gesagt hatte, war sie nicht schwer zu finden.
Zwei massive Felsbrocken und eine hochaufragende Kiefer, deren Wipfel fehlte. Ich konnte das aufgerissene weiße Innenholz sehen, wo der Blitz durch den Stamm gefahren war. Ich rollte langsam an den Straßenrand und hielt an. Dann stieg ich aus und legte mir die schwere Lederjacke um die Schultern. Um diese Zeit war wenig Verkehr, und so herrschte morgendliche Stille. Der Himmel verbarg sich hinter dunklen, grauen Wolkenmassen, und die Berge waren nebelverhangen. Es hatte zu schneien begonnen; große, lockere Flocken, die sich wie eine Reihe von Küssen auf mein Gesicht legten. Einen Moment lang legte ich den Kopf in den Nacken und ließ den Schnee meine Zunge berühren. Selbstverständlich gab es
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