Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
mir ist wohler, wenn ich noch mal nach ihm sehe. Danach will ich kurz bei ihm zu Hause vorbeifahren und ein paar Sachen holen. Zahnbürste, Kamm und so was.«
»Soll ich uns einen Becher Kaffee besorgen? Irgendwo hier muss es doch einen Automaten geben.«
Wir saßen eine halbe Stunde beisammen und schlürften bedenklich riechenden lauwarmen Kaffee aus dicken Pappbechern mit Griffen, die aussahen wie flach angelegte Schmetterlingsflügel. Dolan fragte: »Was haben Sie überhaupt zu Hause getrieben? Ich wollte Ihnen eigentlich eine Nachricht auf Band aufsprechen. Ich war der festen Überzeugung, dass Sie mit jemandem ausgegangen sind.«
»Man geht heutzutage nicht mehr aus; jedenfalls ich nicht.«
»Warum denn nicht? Was spricht dagegen? Wie wollen Sie sonst jemanden kennen lernen?«
»Ich will überhaupt niemanden kennen lernen. Mir fehlt nichts, besten Dank. Und was ist mit Ihnen? Sie sind Single. Gehen Sie aus?«
»Ich bin zu alt.« »Ich auch«, erwiderte ich und spähte zu ihm hinüber. »Wie lang ist es her, dass Ihre Frau gestorben ist?«
»Heute sind es zehn Monate.« Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Wissen Sie, was mich wirklich quält? Jahrelang hat sie mich bedrängt, eine Kreuzfahrt mit ihr zu machen. Mir war schon allein die Vorstellung zuwider. Tahiti. Alaska. Sie hat bunte Prospekte voller Bilder mitgebracht, auf denen fröhliche Menschen, alle unter dreißig, auf dem Oberdeck stehen und Champagnerkelche in den Händen halten. Sonnenuntergänge. Romantik. Wenn man umgeblättert hat, kamen Fotos mit Bergen von Essen, mit dem man sich vierundzwanzig Stunden am Tag voll stopfen kann. Allein der Anblick genügt, damit einem die Magengeschwüre aufbrechen. Für mich ist es ein Albtraum, eingesperrt zu sein, und ich hatte Angst davor, mit einem Haufen Idioten festzusitzen. Klingt das abwegig?«
»Glauben Sie, sie wollte unbedingt eine Kreuzfahrt machen oder einfach nur eine Reise irgendwohin?«
Dolan wandte sich zur Seite und sah mich an. »Das habe ich sie nie gefragt.«
Um Viertel vor drei war ich wieder zu Hause, wo ich bis zehn Uhr unruhig schlief. Das Bezirksgefängnis von Santa Teresa ist in einem zweistöckigen Bau mit einer Fläche von 1300 Quadratmetern untergebracht und hat hundertzwanzig Betten, die von lediglich zwei Aufsehern betreut werden, von denen einer die hochmoderne Sicherheitsanlage mit ihren Reihen von Monitoren überwacht.
Vom Schlafmangel völlig ausgelaugt steuerte ich den VW in eine der Parklücken davor, ging durch den Haupteingang hinein und nahm mir ein Formular für einen Besuchsantrag. Ich trug meinen Namen ein, gab es der Angestellten am Schalter und wartete dann in der Vorhalle, bis sich zu Pudgie herumgesprochen hatte, dass er Besuch hatte. Ich konnte mir seine Verblüffung ausmalen, da ich mir ziemlich sicher war, dass er noch nie von mir gehört hatte. Doch seine Neugier (oder seine Langeweile) hatte offenbar gesiegt, da die Angestellte zurückkam und mir mitteilte, dass er eingewilligt hatte, mich zu empfangen. Sie nannte mir die Kabinennummer, wo ich ihn treffen konnte.
Zu zehnt bestiegen wir den Aufzug: zwei einzelne Frauen und drei Mütter mit einem Sortiment Kleinkinder. Ich drückte auf ABWÄRTS und fragte mich, ob ich aussah wie eine Frau, die einen Freund im Knast hat. Der Aufzug setzte sich nur zögerlich nach unten in Bewegung, und wir fürchteten wohl insgeheim alle, stecken zu bleiben. Nachdem sich die Türen im Untergeschoss geöffnet hatten, strömten wir allesamt in einen Raum, der schätzungsweise sechs mal sechs Meter maß. In Form gegossene beige und graue Plastiksessel, wuchtig und breit, standen doppelreihig angeordnet in der Mitte des Raums. Weitere Sitzplätze fanden sich außen herum. Der Fußboden bestand aus glänzenden beigen PVC-Fliesen, die Wände aus Waschbeton, der in zwei verschiedenen, matten Beigetönen gestrichen war. Auf einem Schild stand FÜSSE NICHT AN DIE WAND STELLEN, obwohl nichts darauf hinwies, wie man es hätte fertig bringen sollen, die Wand … na ja, mit Füßen zu treten. Im Besucherraum standen sich durch eine hohe, gläserne Wand getrennt je zwei festgeschraubte Hocker mit einem Telefonhörer an jedem Platz in einer Reihe gegenüber. Ich setzte mich und stellte meine Tasche neben den Füßen ab. Dann stützte ich die Ellbogen auf den Tresen und fühlte mich, als säße ich beim Lunch in einem Imbisslokal.
Ich wusste aus dem Polizeibericht, dass Pudgie 1950 als Cedric Costello Clifton zur Welt gekommen
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