Kissed by Darkness
Dieses Mal sah ich in meine eigenen moosgrünen Augen. Da war nur ich. Nur ich. Der Krieger war verschwunden, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass er nicht nur der Sunwalker gewesen war, sondern auch der Ritter aus meinem Traum. Derjenige, den in einer dunklen Höhle ein uralter Vampir angegriffen und der so vertraut gewirkt hatte. Und jetzt sah ich ihn auch noch im wachen Zustand. Gar nicht gut.
Ich schob die Gedanken an diese Vision beiseite und ging zur Tür. Damit würde ich mich später auseinandersetzen. Viel später. Jetzt musste ich einen Vampir finden.
Ich liebe mein Auto. Ja, wirklich. Heutzutage, zu Zeiten der Energiewende, hört sich das zwar zunächst nicht unbedingt politisch korrekt an, ist es in meinem Falle aber trotzdem.
Schon als Kind hatte ich mir einen Ford Mustang gewünscht. Nicht nur irgendeinen, sondern einen feuerroten. Und sobald ich in die USA zurückgekehrt war, kaufte ich mir einen neuwertigen 1965er-Mustang und beging dann ein Sakrileg, für das man mich in gewissen Kreisen sicher gehängt hätte: Ich ließ den benzinschluckenden V8-Motor herausreißen und stattdessen einen umweltfreundlichen Elektroantrieb einbauen. Jetzt schnurrte er zwar nicht mehr so kehlig wie ein klassisches Musclecar, aber er war schnell genug für mich und pustete keine Abgase in die Luft.
Gerade als ich aus der Ausfahrt steuerte, klingelte mein Handy. Ich fuhr an den Straßenrand und nahm ab. »Hey, Cordelia. Was gibt’s?«
»Geht es dir gut?«
Tja, das war eine gute Frage. »Ähm … Ja, warum auch nicht?«
Sie schwieg länger, als ich es für nötig hielt. »Etwas in dir erwacht, Morgan«, sagte sie sanft. »Das macht mir Sorgen. Ich bin nicht sicher, ob du damit fertigwirst.«
Was in aller Welt sollte das heißen? »Es geht mir gut, Cordelia, wirklich. Ich bin nur ein bisschen müde.« Ich rieb mir über die Stirn, wo sich der Kopfschmerz wieder meldete.
»Dann hast du also … keine merkwürdigen Dinge gesehen?«
Mist. »Nur … äh … ein paar verrückte Träume, du weißt schon. Aber mehr auch nicht. Nur Träume.«
»Also nichts in der wachen Welt?«
Woher wusste sie, dass ich merkwürdige Dinge sah? »Alles bestens, Cordelia.« Das war zwar eigentlich keine Antwort, aber ich würde sie nicht wissen lassen, dass mir Kreuzritter in meinem Schlafzimmer erschienen. Das klang einfach zu verrückt. »Ich muss nur schnell einen Vampir jagen, ein Amulett finden und mir etwas ausdenken, um das Leben eines verdammten Sunwalkers zu retten. Ich bin ein bisschen gestresst.« Meine Stimme wurde schrill und weinerlich. Ich kann es nicht leiden, wenn mir das passiert.
»Dann hast du also mittlerweile herausgefunden, dass der Sunwalker mehr ist, als es scheint?« Ich hörte, dass sie lächelte, und sie klang eindeutig selbstzufrieden.
»Ich muss los. Vampirjagd, weißt du noch?«
Sie lachte und für einen Augenblick verschwanden meine Kopfschmerzen. »Okay, Morgan. Geh und schnapp dir deinen Vampir. Vielleicht probierst du es heute Nacht mal am Fluss.«
»Klar. Mache ich. Danke, Cordelia.«
Ich mag die Uferpromenade. Der Waterfront-Park ist ganz ähnlich wie die Park Blocks, dort herrscht diese merkwürdige Mischung aus Friedlichkeit und Energie. Er verläuft an der Ufermauer entlang mitten durch das Herz der Stadt, immer am Fluss, dem Willamette, entlang. Wenn der Pioneer Courthouse Square das Wohnzimmer Portlands ist, der Ort, an dem sich alle bei einer Tasse Kaffee und einer Bento-Box versammeln, dann ist der Waterfront-Park der Spielplatz. Den ganzen Sommer über finden hier irgendwelche Festivals statt, vom Blues-Festival bis zum Bite of Portland . Und wenn gerade mal keine stadtweiten Partys toben, dann bietet der Park Skateboardern ein zweites Zuhause und verliebten Pärchen ein romantisches Plätzchen. Kinder wie Erwachsene suchen in dem riesigen Brunnen Abkühlung von der Sommerhitze. Und dann ist da auch noch der Fluss, der sich seinen Weg zum Meer bahnt.
Ich stellte das Auto ein paar Blocks von der Uferpromenade entfernt ab. Ganz in der Nähe stehen die Gebäude des Portlander World Trade Centers, und seit dem elften September 2001 ist das Parken aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt. Lästig, aber was soll man machen?
Ich trage stets ein paar Waffen mit mir herum. Man weiß ja nie. In voller Montur ziehe ich allerdings nur los, wenn ich den Vampir, den ich gerade suche, auch gefunden habe. Cordelia hatte mir diesmal jedoch einen Hinweis gegeben und da ich begriffen hatte, dass
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