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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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Schlafzimmer hinaus auf den
Wehrgang geschlüpft war – obwohl ich wußte , daß er es
nicht getan hatte.« Miss Guthrie blickte mir fest ins Gesicht. »Ich wußte , daß er Guthrie nicht umgebracht hatte. Und daraus
ergab sich alles andere.«
    »Eine falsche Zeugenaussage kann sich niemals rechtmäßig aus etwas
anderem ergeben, meine Liebe.«
    Mit einem nüchternen Nicken nahm Miss Guthrie auch diesen
väterlichen Tadel noch an. Dann fuhr sie fort. »Alles, was ich über die
Begegnung von Guthrie und Lindsay gesagt habe, stimmt – bis auf den Schluß. Sie
saßen am Tisch und sprachen ruhig miteinander. Guthrie ist nicht aufgestanden,
nicht zur Tür gegangen und hat Hardcastle keine Anweisung gegeben, Noel
heraufzubitten. Keiner von beiden kann auch nur in die Nähe des Sekretärs
gekommen sein –«
    »Genau. Das ist ein entscheidender Punkt, und niemand kann Ihnen das
widerlegen.«
    »Doch am Ende standen sie auf und gingen bis etwa halbwegs zur Tür.
Ich sah sie nach wie vor deutlich und erwartete, daß sie sich in aller Form
verabschieden würden – so wie ich es dann Noel weisgemacht habe. Aber plötzlich
sah ich, daß etwas nicht stimmte. Guthrie redete auf Lindsay ein, und auch wenn
ich nichts hören konnte, konnte ich doch sehen , was
er tat. Es war wie Peitschenhiebe, wie er auf den Jungen – den jungen Mann – mit Worten einhieb. Es war, als ob er wüßte, daß er Lindsay in seiner Gewalt
hatte – etwas, das ihm die Macht gab, dies eine Mal noch grausam zu ihm zu
sein, entsetzlich grausam. In diesem Augenblick begriff ich, daß ich ihn haßte,
auch wenn er mein Verwandter war, und ich spürte – auch wenn es mir jetzt noch
so schrecklich vorkommt – ich spürte, wie ich mich danach sehnte, daß der Junge
ihm dort auf der Stelle den Hals umdrehte. Deshalb hatte ich dann hinterher das
Gefühl, daß ich –«
    »Verstehe. Hätte er Guthrie in diesem Augenblick tatsächlich umgebracht,
wären Sie Lindsays Komplizin im Geiste gewesen.«
    »Etwas in dieser Art. Es war irgend eine obszöne Gemeinheit, die
Guthrie ihm da sagte, und in ein paar Sekunden war es vorüber. Ich hatte gerade
wieder Atem geschöpft, da sah ich, daß Lindsay fort war.«
    »Und das ist die reine Wahrheit? Dann müssen Sie jetzt nur noch nach
unten gehen und alles schön ordentlich Inspektor Speight erzählen.«
    Miss Guthrie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Doch dann
zögerte sie wieder. »Mr.   Wedderburn – sind Sie wirklich sicher? Ich kann das
gar nicht glauben.«
    Ich lächelte, weil sie es zum zweiten Mal sagte. »Machen Sie sich
keine Sorgen.«
    »Mir fällt ein, da ist noch etwas, worauf Noel mich gebracht hat. Er
sagt, die Leute würden es sehr seltsam finden, daß ich bei Guthries Schrei ge raten habe, daß er –«
    »Meine liebe junge Dame, Mr.   Gylbys Erfahrungsschatz ist
zweifelsohne ebenso reichlich wie vielfältig. Trotzdem kann ich Ihnen
versichern, daß Sie nichts zu befürchten haben.« Ich konsultierte meine Uhr.
»So, und jetzt haben wir gerade noch Zeit genug, in aller Eile aus Dunwinnie
einen Elektriker kommen zu lassen.«
    »Einen Elektriker!«
    »Ganz genau. Und zwar, wenn möglich, einen, der ein ehrwürdiges und
vertrauenerweckendes Gesicht macht. Von solchen Kleinigkeiten hängt vieles ab.
Und nun, Miss Guthrie, ab mit Ihnen zu Inspektor Speight.«
    Wir gingen hinaus, und ich verschloß die Tür der Studierstube hinter
mir. Ich glaube, ich tat es mit der gleichen Genugtuung, mit der ich die
Schatulle mit den Papieren einer Familie verschließe, wenn ich weiß, daß ihre
Angelegenheiten für die nächste Generation zur Zufriedenheit aller geregelt
sind. Schweigend stiegen wir die lange Treppe hinab und begaben uns zum Zimmer
des Inspektors. Speight war eben dabei, einsam und nachdenklich ein
Schinkenbrot zu verzehren.
    »Dürfen wir Sie stören, Inspektor? Meine Mandantin, Miss Guthrie,
möchte gern ihre Aussage zu Protokoll geben. Und ich glaube, nicht mehr lange,
und das Geheimnis von Erchany wird gelöst sein.«
    »Meinen Sie wirklich, Mr.   Wedderburn? Das hört man gerne. Kommen
Sie, Miss Guthrie, dann schreiben wir alles auf für den Sheriff.«
    »Noch eines, bevor wir beginnen. Ich schlage vor, daß ich meinen
Wagen nach Dunwinnie schicke und daß wir von dort einen tüchtigen Elektriker
kommen lassen. Ich könnte mir vorstellen, daß er uns nützlich sein wird.«
    Inspektor Speight ließ sein Butterbrot sinken. »Habe ich Sie recht
verstanden, Mr.   Wedderburn, einen

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