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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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Lily.
    »Ich fürchte.«
    »Keine alten Freunde?«
    Einen Moment lang hatte sie einen Kloß im Hals. »Ist lange her. In der Schule denkt man, die besten Freunde hat man ein Leben lang. Aber nach dem Abi geht das alles ganz schnell auseinander. Plötzlich ist dein Leben nicht mehr das, was du noch vor ein paar Jahren dafür gehalten hast. Die Leute, die du kanntest, sind in alle Winde verstreut, und du bist nicht mal besonders traurig darüber.«
    Hör dich nur an, dachte sie. Als wüsstest du ernsthaft was über das Leben normaler Leute.

3
    Die Nachricht, dass ihr Elternhaus abgebrannt und ihre Stiefmutter Theodora in den Flammen ums Leben gekommen sei, hatte Anais vor zwei Tagen in Amsterdam erreicht.
    Es war der Abend vor ihrer Performance gewesen, und es war zu spät gewesen, das Ganze noch abzublasen. Sie hatte eigentlich nicht mal ans Telefon gehen wollen. Und dann bereut, dass sie es doch getan hatte. Sie hatte gerade mitten im Rotlichtbezirk gestanden, auf der Straße vor einem der Schaufenster, in denen für gewöhnlich die Prostituierten saßen. Sie hatte eine dieser Kabinen für drei Tage gemietet, die letzte am Ende der Straße.
    Am ersten Tag war ein Sichtschutz aus Holzplatten installiert worden, damit ihr Team im Inneren in Ruhe arbeiten konnte. Sie hatten den Raum hinter dem Glas vollständig ausgeräumt, gereinigt und alle Oberflächen mit Folie abgedeckt.
    Am zweiten Tag war im Morgengrauen der Lastwagen einer Schlachterei vorgefahren. Arbeiter in weißen Overalls hatten drei Tonnen Rinderbeinknochen aus dem Wagen ins Innere des Schaufensterraumes getragen und sie sorgfältig dort verteilt. Es waren etwa tausend Stück, alle vom Vortag und frisch aus der Kühlung, jeder drei Kilo schwer und so lang wie Anais’ Unterarm. An allen hingen noch blutige Fleischreste, so, wie es die Hundehalter am liebsten hatten, an die sie für gewöhnlich verkauft wurden. Bald war der Raum hüfthoch mit Knochen gefüllt gewesen, von außen sah er aus wie ein Aquarium voller Gebeine.
    Zu Anfang hatte die Gruppe der Schaulustigen vor allemaus den Frühaufstehern der umliegenden Gewerbe bestanden: Frauen auf dem Weg zur Frühschicht in den Salons und Saunaclubs; Zuhälter, die ihre Kinder zur Schule gebracht hatten und sich am Morgen um die Buchhaltung kümmerten; Mitarbeiterinnen der asiatischen Putzkolonnen; ein paar Türsteher, die aussahen, als kämen sie aus einer Klonfabrik.
    Zu ihnen hatten sich nach und nach die ersten Vertreter der Medien gesellt, zwei Fernsehteams   – ein holländisches und eines von der Kulturzeit   –, dann lokale Presse, auch ein paar deutsche Printjournalisten. Zuletzt waren die geladenen Kunstfunktionäre erschienen, eine übernervöse Angestellte des Goethe-Instituts, jemand von Anais’ deutschem Verlag und eine ganze Abordnung des holländischen.
    Bald tauchten auch jene auf, die ein ernsthaftes Interesse an Performancekunst anlockte. Sie kamen ohne Vorurteile oder berufliche Verpflichtung: gebildete Neugierige, kultivierte Gaffer, Spanner in akademischer Pose.
    Schließlich, endlich, erschienen ihre Leser: Frauen und Männer, die Bücher zum Signieren mitbrachten und denen es beinahe egal war, welches Spektakel da zum Erscheinen ihres neuen Romans veranstaltet wurde. Sie wollten nur die Autorin sehen und ihr später vielleicht sagen, wie wichtig ihnen ihre Bücher waren. Unter ihnen gab es einen harten Kern, der an jeder ihrer Aktionen teilgenommen hatte. Dies hier war die sechste, zur Publikation ihres sechsten Romans. Spätestens seit der dritten, dem Experiment mit den Messern, das ein wenig außer Rand und Band geraten war, hatte sich herumgesprochen, dass es sich dabei um mehr handelte als hochtouriges Werbegetöse. Im Feuilleton nahmen viele sie mittlerweile als Performancekünstlerin wahr, selbst jene, die ihre Bücher als ordinäre Thriller abtaten. Und auchwenn sie den Beigeschmack der kommerziellen Selbstinszenierung um ihres Bucherfolgs willen niemals loswerden würde, betrieb Anais ihre Aktionen mit einer Konsequenz, die ihre Arbeit an den Romanen ergänzte und noch mal übertraf.
    Um Punkt zehn Uhr am Vormittag war sie, einzig mit einem weißen Mantel bekleidet, aus einer Limousine gestiegen und ins Licht der Scheinwerfer getreten. Sie hatte den Glaskasten betreten, ihren Mantel abgelegt und sich splitternackt auf den Knochenberg gesetzt. Es gab keinen Hocker, keine verborgene Plattform, keine Tricks. Sie hatte auf den Rinderbeinen gesessen, den Gestank nach rohem

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