Klar sehen und doch hoffen
aus den Fesseln der Ideologie, aus unserem mehrfach ummauerten System in die Demokratie.
Es ist nicht übertrieben, von einem Wunder der Geschichte zu sprechen, dass schließlich deutsche Einheit nicht »mit Blut und Eisen«, sondern auf einem friedlichen Wege zustande kam, dass erst Freiheit und dann Einheit erreicht wurde. Dieser Prozess ist nicht denkbar ohne die beharrliche Entspannungspolitik, die Willy Brandt, Walter Scheel und Egon Bahr angestoßen hatten, die von den Regierungen Schmidt und Kohl/Genscher fortgesetzt wurde. Alles nicht denkbar ohnedie Schlussakte von Helsinki, ohne die Bewegungen Solidarność und Charta 77, nicht ohne Gorbatschow.
Ich wünschte mir, dass wir 40 Jahre getrennten und nun mehr als zwei Jahrzehnte glücklich (mit allen Schwierigkeiten) neu vereinten Deutschen diejenigen sind und bleiben, die zivile Konfliktlösungen vornean stellen, die nie wieder Sicherheit gegeneinander errüsten, sondern miteinander vereinbaren. Dazu gehört Mut, auf die Feinde zuzugehen und militärische Lösungen von Konflikten wirklich nur als Ultima Ratio zu begreifen und politischen Konfliktlösungen stets den Vorzug zu geben. Im Juni 1997 wurde ich vom Chefredakteur des »Tagesspiegel« Walther Stützle zu einer Diskussion über den Umgang mit Verwundungen in Diktaturen eingeladen. Neben mir nahmen daran der südafrikanische Jurist und Verfassungsrichter Richard Goldstone, der Völkerrechtler Christian Tomuschat, der im Auftrag der UN die Kommission zur Aufklärung der Vergangenheit in Guatemala koordinierte, und Joachim Gauck teil. Dieser teilte unsere Versöhnungsperspektive nicht.
Ich erinnere mich mit ein wenig Wehmut an den Verfassungsentwurf des Runden Tisches vom März 1990, der allzu schnell weggewischt wurde, der in Art. 43 als Wappen des vereinigten deutschen Staates »die Darstellung des Mottos ›Schwerter zu Pflugscharen‹« vorgesehen hatte. Mein Resümee: Ohne Friedensbewegung keine friedliche Revolution in der DDR – aber auch ohne beharrliche Entspannungspolitik und Gorbatschow nicht. Das wirtschaftliche Desaster tat ein Übriges.
Das umgeschmiedete Schwert von 1983 ist am prominenten Tatort der friedlichen Oktoberrevolution in Leipzig im Zeitgeschichtlichen Museum zu besichtigen. Der Vorgang selbst gehört nicht ins Museum, sondern weltweit auf die Tagesordnung, zumal bei den größten Waffenproduzenten und -exporteuren. Deutschland ist immer noch Nummer drei!Unsere entgrenzte Welt, keineswegs sicherer geworden, harrt einer globalisierten Friedensbewegung, wie sie vor dem Irakkrieg 2003 kurz aufschien. Oder sollten die Militärs nicht nur den längeren Arm, sondern auch den längeren Atem haben?
Wollen wir etwa warten, bis das Desaster in Afghanistan perfekt, also endgültig ist? Welcher Beitrag ist uns Deutschen jetzt abverlangt, entschieden andere als militärische Lösungen zu suchen, gar mit Gegnern zusammen? Das Prophetenwort von den Schwertern, die end-gültig zu Pflugscharen werden, ist für mich keine unrealistische Utopie, sondern eine bleibende Ermutigung und Verpflichtung.
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Das trifft auch auf unseren Verbrauchervernichtungsfeldzug gegen die Natur zu. Mir geht noch immer nach, was Michail Gorbatschow am 4. Oktober 1985 vor der französischen Nationalversammlung geradezu prophetisch eingeschärft hatte: »Bei allen Unterschieden in den politischen und philosophischen Anschauungen, in den Idealen und Werten müssen wir uns jedoch des einen bewusst sein: WIR ALLE SIND HÜTER DES UNS VON DEN VORANGEGANGENEN GENERATIONEN ÜBERLIEFERTEN FEUERS DES LEBENS.«
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende nicht automatisch. Dass »das Rettende« eine Chance hat, haben wir erleben dürfen, schließlich friedlich in die Einheit kommend. Besatzungstruppen zogen ab, und die Mittelstreckenraketen wurden zurückgezogen oder verschrottet.
Ich sehe dankbar zurück. Warum nicht auch hoffnungsvoll nach vorne?
Sperare contra spem! Oder: Klar sehen. Und doch hoffen.
Die Prager Rede Obamas zur Abrüstung aller Atomwaffen und seine Kairo-Rede zu einem neuen Verhältnis zur muslimischen Welt sind seit 2009 in der Welt – auch wenn (meine) Irritationen über den staatlich sanktionierten, das Völkerrechtbrechenden Mord an einem (mutmaßlichen Massen-) Mörder im Mai 2011 erheblich sind. Die langfristigen Folgen sind noch unabsehbar.
SPIESSE ZU WINZERMESSERN. KONVERSION STATT NEUER KRIEGE
Als am 21. November 1990 in Paris die Charta
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