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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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sich bei mir ausgeliehen hatte.
    In Folge der Verhöre bei der Stasi geriet der Assistent in eine schwere Psychose und nahm sich später das Leben. Zuvor war ich zu einer sogenannten Befragung in die verwinkelten Gebäude des Volkspolizeikreisamts in Wittenberg einbestellt.Von dem Termin hatte ich meinen Propst Hans Treu informiert. Zum ersten Mal erlebte ich das, was man eine kafkaeske Situation nennt. Ein vor Freundlichkeit schier überfließender Herr empfing mich, führte mich Flure entlang, die ich bald als Labyrinth empfand, aus dem ich wohl nicht mehr herausfinden würde – was die Freundlichkeit dieses unauffälligen Herren nur steigerte, resultierend aus seinem Wohlgefühl einer deutlich spürbaren Macht über mich. Es schien in seiner Hand zu liegen, mich zu geleiten oder mich in den Tiefen dieser grauen Schrecklichkeit auszusetzen, ohne Chance, je wieder den Weg nach draußen zu finden. So kam mir das vor. Grotesk, unheimlich. Es ging von einem Flur in den anderen, immer wieder wurden Türen hinter mir zugeschlossen.
    Endlich kamen wir zur letzten Tür – als habe man das betreffende Büro ganz ans Ende der Gänge gesetzt, um den zu Vernehmenden schon zu Beginn der Fragen in zweckdienlicher psychischer Erschöpfung zu wissen. Ich saß einem sehr scharf vorgehenden und einem wieder sehr freundlich vermittelnden Stasioffizier gegenüber. Gewissermaßen der Gemüts-, der Naturellwechsel als zusätzliche Verstörungstaktik. Solche Praktiken kannte ich aus der Literatur, etwa aus Hans Falladas Roman »Jeder stirbt für sich allein«.
    Es war die Zeit, da man eine DDR-weite Unterschriftenkampagne unter den »Berliner Appell« von Robert Havemann und Rainer Eppelmann fürchtete, ein Papier, das die Frage der atomaren Abrüstung mit der Frage der deutschen Einheit verknüpfte. Ich hatte aber zu jener Zeit gar keinen Kontakt zu Rainer Eppelmann und diesen Berliner Kreisen.
    Die Organe vermuteten damals schon Friedenskreis-Netzwerke, die wir außerhalb der Friedenswerkstätten erst 1984 in der DDR-weiten, jährlich stattfindenden Begegnung »Frieden konkret« zwischen Friedensgruppen und Kirchenleitungen organisieren konnten.
    Nachdem ich 1983 auf dem Lutherhof die Schmiedeaktion organisiert und gestaltet hatte – zusammen mit unserem Gemeindekreis, zu dem auch der Schmied Stefan Nau bis zu seinem Ausreiseantrag Ende Januar 1984 gehört hatte ‒, wurde die Observations- und Zersetzungspraktik intensiviert. Bis zur Perversität, dass man Stasispitzel, die unserer Gemeindegruppe angehörten, zusätzlich in die Therapiegruppen meiner damaligen Frau schickte – alles, was dort in scheinbar geschützten Räumen geäußert wurde, kam als Bericht in die Schandpapiere der Staatssicherheit.
    Dieser Apparat hatte die Frechheit, die Vertrauensfestigkeit der Menschen auszunutzen, sich in ihrem festen Glauben an unantastbare Beziehungen und Freundschaften einzunisten. Mein Lebensumfeld war die Giftküche Merseburg, in Wittenberg war es nicht besser, wir lebten in der Nähe der »VEB Stickstoffwerke Piesteritz« – so habe ich die immer stärkere Verschmutzung von Saale und Elbe registriert, daher rührt mein nahezu natürliches, zwingendes Engagement für Umweltfragen etwa ab 1970. In dem Chemiker Dr. Konrad T. und einem im Wittenberger Stickstoffwerk tätigen Experten für Ökologie fand ich wichtige Partner und Fachberater. Von ihnen erhielt ich stichhaltige, als Verschlusssachen gekennzeichnete Informationen über die wahre Umweltsituation in der DDR. Nie hätte ich gedacht, dass beide zugleich intensiv für die Staatssicherheit arbeiteten. Da versorgten mich zwei mit geheimen Fakten, und gleichzeitig gaben sie geheim alles weiter, was wir besprochen und geplant hatten. Das ist der doch nur diabolisch zu nennende Lockreiz des doppelten Gesichts. Am Ende hat man dann gar keins mehr.
    Es ist freilich trotz aller Klarheit des Urteils über diese schmutzige Institution nicht immer ganz eindeutig gewesen, was Zuträger der Staatssicherheit zu ihrem unmoralischen Handwerk bewogen haben mag. Die Frage soll erlaubt sein:Sollte es bei der Stasi Leute gegeben haben, die mittels ihrer Abschöpferei, auf dem Weg der geheimen Informationsbeschaffung Wahrheiten sammelten, Wahrheiten weitergaben – um endlich Änderungen anzustoßen? Und das im System einer Partei, in der man selbst außerhalb der medialen Öffentlichkeit nur Lobhudeleien, propagandistische Lügen nach oben weitergab? In einem Land, in dem immer mehr Menschen sich

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