Kleine Luegen erhalten die Liebe
sollte er es Karen dann erzählen? Damit sie sich jetzt schon benutzt und verletztfühlen kann? Hat er nicht das Recht auf eine Beziehung, während er seine Aufgaben aus Livs Liste abarbeitet? Eine Welle des Schuldbewusstseins und der Panik durchströmt ihn. Karen wird jeden Moment zurückkommen, um ihn wieder mit bedingungsloser Liebe und Tiefkühlerbsen zu überschütten. Wie kompliziert das alles ist, Herrgott noch mal! Vielleicht hat Mia recht, und das Beste wäre, es Karen jetzt gleich zu sagen und die Sache hinter sich zu bringen. Nein! Nein. Das kann er weder sich noch ihr antun; er will ihnen eine Chance geben, basta. Deshalb sagt er …
»Ich werde es ihr nicht erzählen, Mia – ist das falsch?« Er weiß wirklich nicht mehr, was er denken soll. »Denn wenn ich es täte, wäre das das Ende unserer Geschichte.«
»Das meinte ich ja gerade. Aber die Entscheidung liegt natürlich bei dir. Ich finde es nur nicht fair von dir, diese Karen zu benutzen.«
Fraser seufzt. »Ich benutze sie nicht, ich mag sie.«
»Nun, dann ist es ja auch nicht so schlimm.«
Die Tür öffnet sich, und Eduardo kommt herein, das Haar zerzaust, mit nichts als seinen Boxershorts bekleidet, und hält den schreienden Billy auf Armeslänge von sich. »Er vermisst seine Mama«, sagte er. »Du telefonierst schon stundenlang.«
♥
Herrgott noch mal, würde sie es jemals lernen? In Karens Badezimmer schüttelt Fraser den Kopf und schnalzt missbilligend mit der Zunge. Das war eindeutig Eduardo, den er im Hintergrund gehört hat. Es gibt nicht viele Menschen, die Frasers Blut zum Kochen bringen, aber Eduardo ist einer von ihnen. Was für eine rückgratlose, anmaßende, unbrauchbare Niete! Fraser hat das Gefühl, dass dieser Loser versucht, sich wiederin Mias Leben zu drängen – und seine Ahnung scheint sich als richtig zu erweisen, denn er hat sie erwischt. Warum sonst sollte dieser Kerl so früh am Morgen bei ihr sein, wenn er nicht dort übernachtet hat? Mia konnte manchmal richtig dumm sein, von scheinheilig erst ganz zu schweigen. Und dann sitzt sie auf ihrem hohen Ross (mit ihrer »moralischen Überlegenheit«) und maßt sich ein Urteil über Karen an!
»Ist das Eduardo?«, fragt er.
In der Küche denkt Mia für den Bruchteil einer Sekunde daran zu lügen – weil Fraser alles andere als begeistert sein wird; keiner ihrer Freunde wird begeistert sein, nicht nach allem, was sie mit ihr und Eduardo durchgemacht haben. Aber ihre Freunde waren schließlich auch nicht allein mit einem Baby, nicht? Und Eduardo gibt sich solche Mühe, dass sie ihm eine Chance geben sollte. Ich meine, sieh ihn dir doch an!, sagt Mia sich. Er ist noch hier, nicht wahr? Steht in meiner Küche und hält seinen eigenen Sohn von sich weg, als wäre er eine Bombe kurz vor dem Explodieren?
»Ja«, antwortet sie schließlich betreten.
»Ach, Mia !«
Die Enttäuschung in Frasers Stimme ist das Schlimmste.
»Was?«
»Mimi, kannst du JETZT bitte aufhören zu telefonieren?«
»Nenn mich nicht Mimi, Eduardo!«, schreit sie und ist plötzlich genervt von allem: von Eduardos Ton, Billys Geschrei und nun auch noch von Frasers unverhohlener Kritik. Das Beste wäre, ins Bett zurückzukehren.
»Hör mal, Frase …«, sagt sie.
»Oh, jetzt ist es also Frase .« Eduardo verdreht übertrieben die Augen, und Billy schreit noch immer wie am Spieß. »Der gut aussehende Fraser Morgan …«
Mia stößt einen tiefen Seufzer aus und legt ein wenig theatralisch eine Hand an ihre Stirn. Sie tut es schon wieder – führt sich auf wie jemand aus der Fernsehserie Coronation Street.
»Herrgott noch mal, könnt ihr mich nicht einfach beide in Ruhe lassen?«, fragt sie schließlich, aber mehr, weil sie nicht weiß, was sie sagen soll, als aus der Überzeugung, dass sie beide unrecht haben. »Fraser, ich hoffe, deiner Nase geht’s bald besser. Ich ruf dich später an. Jetzt gehe ich erst mal zurück ins Bett!«
Und genau das tut sie, und während sie das kühle weiße Laken über sich zieht und es Eduardo überlässt, Billy zu versorgen, denkt sie, dass es sich lohnt, ihm eine weitere Chance zu geben. Und wenn auch nur für diese kleinen Erleichterungen.
♥
Fraser hört die Eingangstür. »Ich konnte keine Tiefkühlerbsen bekommen, doch sie hatten dicke Bohnen, da habe ich die genommen«, ruft Karen in der Diele. »Ist dir übel oder schwindlig?«
Fraser sieht sich an. Ja, so ist es, denkt er, mir ist übel. Aber es ist eine Art von Übelkeit, die er nicht zum ersten
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