Kleiner Kummer Großer Kummer
seinen Tee versäumt hat.«
»Nun gut«, ergab ich mich in mein Schicksal und ließ mich auf einem leeren Ölfaß nieder, bereit, auf Alf zu warten.
»Etwas weiter ’rauf gibt’s ein Café«, schlug er mir zu meiner Bequemlichkeit vor, aber ich schüttelte meinen Kopf.
Er zog sich ein anderes Ölfaß heran und machte es sich neben mir bequem.
»Woll’n Sie sich eine drehen?« fragte er, nachdem er aus seiner Overalltasche einige Blatt Zigarettenpapier und eine Schachtel mit Tabak herausgezogen hatte.
»Nein, danke.«
Nach einigen Minuten äußerster Konzentration war die Zigarette fertig, und er fuhr mit seiner Zunge an dem Papier entlang... Zu meiner Überraschung war die Zigarette, die er mit seinen schmuddeligen Händen fabriziert hatte, immer noch weiß.
Nachdem er sie angezündet, einen langen Zug genommen und umständlich einige lose Tabakfasern von seinen Lippen entfernt hatte, sagte er:
»Sehen Sie sich meinen Kopf an.«
Ich sah ihn ohne großes Interesse an, da ich nur daran dachte, wo Sylvia wohl sein konnte und was geschah, während ich hier in einer einsamen Tankstelle auf einem Ölfaß hockte.
»Würden nicht glauben, daß ich eine Stahlplatte drin habe, was?« Er wartete auf einen Ausruf der Überraschung, der aber nicht kam. »Ist wirklich so. Und ’n Stück vom Ohr ist auch weg.« Er schob seinen grauen Haarschopf hoch und hielt mir sein deformiertes Ohr unter die Nase.
»Im Kampfe für Britannien verloren. Päng-päng-päng«, erklärte er stolz, indem er ein eingebildetes Gewehr auf seine beiden Zapfsäulen richtete. »Bin froh, daß ich das hier habe, besser als daß ich
einmal fast ertrunken wäre. Für Wasser hätt’ ich noch nie was übrig.«
Ich sah auf meine Uhr. Fünf Minuten würde ich Alf noch geben, dann würde ich lieber weiter auf der Straße entlanggehen und versuchen, von einem Wagen mitgenommen zu werden.
Der Tankstellenmann ließ sich weiter über seine Kriegserfahrungen aus. Nachdem ich in Gedanken sämtliche Zwischenfälle bei Geburten, die in meinem Fachbuch aufgeführt waren, durchging, drang mir hin und wieder nur ein unverständliches Wort ins Bewußtsein. »London-Ost... Schiebung... Fahrschein bekommen... meine Frau kennengelernt... schon immer versessen auf Wagen und Räder... diesen Platz hier mit meiner Abfindung gekauft... Pension.«
Bei jedem Motorengeräusch spitzte ich meine Ohren. Als am Ende von zehn langen Minuten noch immer nichts von Alf zu sehen war, stand ich von meinem Ölfaß auf.
»Wissen Sie«, entschloß ich mich, »ich werde jetzt noch einmal zu Hause anrufen, und wenn Ihr Freund Alf bis dahin nicht erschienen ist, werde ich nicht mehr warten. Ich werde laufen und vielleicht einen Wagen finden, der mich mitnimmt.«
Ich hatte den nach öl riechenden Hof auf dem Weg zu dem kleinen Büro noch nicht halb überquert, als ich das tiefe Brummen eines sich nähernden Wagens hörte. Ich wartete, bis er näher kam und sprang zurück, als ich die wohlbekannte lange Schnauze eines glänzenden schwarzen Allard in die Tankstelle einbiegen sah, die mich nur um einige Zentimeter verpaßte.
Aus dem Fenster kamen eine gelb behandschuhte Hand und ein Kopf mit zurückgekämmten schwarzen Haaren hervor.
»Kommen Sie!« rief Archibald Compton mir zu.
Der Tankstellenmann starrte mit offenem Mund voller Bewunderung auf den Wagen.
Die Tür flog auf, und halb benommen nahm ich die Einladung an.
»Schnell, schnell, Mann! Die Blase ist schon geplatzt, aber es geht ihr gut. Ich nehme nicht an, daß Ihr Familienzuwachs da ist, bevor wir ankommen.«
»Sylvia?« fragte ich einfältig.
Er nickte und brachte den Motor auf Touren. Ich konnte gerade noch rechtzeitig die Tür schließen. Seine gelben Handschuhe legten sich rund um das Steuerrad, die lange schwarze Schnauze des Allard schwang um die Zapfsäulen herum, und aufheulend schoß der
Wagen auf die Straße hinaus, den verwirrten Tankstellenbesitzer in einer Wolke von Staub zurücklassend.
»Ich muß Ihnen das jetzt wohl erklären«, lächelte Compton und fuhr wie ein Rennfahrer dahin, daß die Bäume an uns vorbeiflogen und der Motor wie Kinderweinen aufschrillte.
»Das wäre mir lieb.« Ich streckte meine Beine vor mir aus. Die Sitze waren so niedrig, daß sie fast in einer Höhe mit meinem Körper lagen.
Wir schlängelten uns in einer Übelkeit erregenden Art durch die Kurven. »Ich war gerade bei der Schwester im Büro, als Sie in der Klinik anriefen«, erklärte Compton. »Ich wollte eine Patientin
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