Kleines Lexikon christlicher Irrtümer - von Abendmahl bis Zungenreden
einer rechten Partei, millionenfach plakatiert. Der dazugehörige Kandidat hielt auf Kundgebungen gerne ein Holzkreuz neben sein Gesicht. Was unter anderem die Frage aufwirft: Dokumentiert sich Christsein darin, dass jemand ein Kreuz trägt? Woran erkennt man, dass diejenigen, die sich Christen nennen, auch wirklich Christen sind?
Jede Antwort auf diese Frage zieht einen Schweif weiterer Fragen nach sich. Definiert sich Christsein an der Gottesdienstteilnahme? Dann sähe es um die Christenheit in Deutschland wie im gesamten Abendland düster aus, denn weniger als zehn Prozent der Kirchenmitglieder besuchen regelmäßig Gottesdienste. Ist ein Christ derjenige, der sich selbst so bezeichnet? Und was, wenn er sich zwar Christ nennt, aber nicht die Aussagen des verbindlichen Glaubensbekenntnisses anerkennt? Oder aus der Kirche austritt, aber weiter in christlichem Sinne glaubt? Gibt es »Essentials«, deren Befolgung unabänderlich zum Christsein dazugehören – wenn ja, welche? Wäre eines, dass sich Christen an der Botschaft Jesu orientieren sollten? Dann müsste etwa die
evangelische Kirche in Deutschland fast die Hälfte ihrer Mitglieder exkommunizieren, denn so viele halten dies nicht für das entscheidende Merkmal. Die Taufe gilt den meisten Menschen als Kriterium des Christseins — aber was sagt die schon über das gelebte Leben aus? Über Dreiviertel aller Befragten nannten in einer Umfrage das »Bemühen, ein anständiger und zuverlässiger Mensch zu sein« für einen ausreichenden Beweis des Christlichen. Besteht ein Ausweg aus dem Dilemma womöglich darin, die Christlichkeit eines Menschen quasi in Prozenten zu unterscheiden – mit der Folge, Gläubige in »Voll-» und »Halb-», »Taufschein-» und »Bekenntnis«-Christen einzuteilen?
Vor vielen Jahren erlag ein evangelischer Theologiestudent der Versuchung, Glauben zu messen. Er meinte, seinen Theologieprofessor überführen zu können, und stellte öffentlich die Frage, wie christlich dieser denn sei. Der inzwischen verstorbene renommierte Neutestamentler reagierte gelassen und humorvoll: Dass er liebend gerne selbst auf diese Frage eine Antwort hätte, um seinen »alten Adam« besser kennenzulernen. Leider sei er enttäuscht worden. Er schrieb: »Den reichlich pauschalen Anklagen konnte ich nur entnehmen, dass er wie ich selber mit meiner Christlichkeit unzufrieden ist.«
Der Professor drückte in seiner verbalen Retourkutsche eine urchristliche Einsicht aus: Um den eigenen Glauben kann man sich bemühen, man kann ihn pflegen, kann ihn besten Gewissens an- und wieder ablegen. Nur eines kann ein Christ nicht: sich seines Glaubens sicher sein. Das ist der tiefe Sinn eines im Markusevangelium überlieferten Spruchs: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« (Markus 9,24)
CHRISTUS ist der Nachname von Jesus
Meier, Müller, Christus? Jesus Christus, klar, das klingt doch wie ein Vor- und ein Nachname! Nachnamen gehen bei uns heute oft auf Berufs- oder Herkunftsbezeichnungen zurück oder benennen eine Besonderheit, die einem unserer Vorfahren zueigen war. Ursprünglich wurden sie den Allerweltsvornamen angehängt, um die verschiedenen Georgs und Sonjas besser unterscheiden zu können. Auch Jesus war zu biblischer Zeit ein sehr geläufiger Vorname unter den Juden. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn Jesus sich selbst einen ähnlichen Namenszusatz gegeben oder von seinen Mitmenschen bekommen hätte. Schaut man in die Evangelien, stellt man fest, dies war, wenn auch selten, sogar der Fall. Die Menschen kannten Jesus offensichtlich als Zimmermann – sein eigentlicher Beruf – oder auch als den Jesus aus Nazareth – sein Heimatdorf. Viel öfter jedoch wird Jesus in allen Schriften des Neuen Testaments als »Christus« bezeichnet. Was ist das für ein seltsamer Namenszusatz, dem auch wir als Christen unseren Namen verdanken? Und warum wurde Jesus so genannt? Ein Nachname ist es jedenfalls nicht, auch wenn er schon für die ersten griechischsprachigen Christen, die mit der jüdischen Tradition nicht vertraut waren, so geklungen haben mag. Das aus dem Griechischen stammende Wort »Christos« ist eine Übersetzung des aramäischen Wortes »Messias«, was auf Deutsch »der mit Öl Gesalbte« bedeutet. In der jüdischen Tradition wurden Könige und Priester ursprünglich mit kostbarem Öl gesalbt, um deren besondere Verbindung zu Gott herauszustellen. Zur Zeit Jesu verbanden die Menschen mit einem »Messias« eine besondere Rettergestalt, die am Ende der Zeit
Weitere Kostenlose Bücher