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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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schwarzhaariger Mann, am Stock hinkend. Ich sagte ihm: wir seien geradezu feindselig aufgenomen, der Mann verweigere uns das Wasser. Ich sprach wohl mit heiserer, müder, desperater Stimme, es machte Eindruck. Der Bürgermeister – erst hatte er gesagt, es sei nur für diese Nacht, morgen würde er besseres schaffen – nickte wie schwermütig u. wiederholte Feinselig, ja: feindselig. Dann: Gehen s zur Gendarmerie, das Haus am andern Längsende des Platzes, sagen s in meinem Auftrag dem Polizeimeister, was ist. Ich fand das Haus, klopfte, ein freundlicher Mann, Fünfziger wohl, im Wollhemd, öffnete, ließ sich erzählen. Ich komme Ihnen helfen, warten s unten auf mich.[] Nach einer Weile erschien er in voller grüner Uniform, den Revolver am hellbraunen Gürtel umgeschnallt. Der * Joseph Pulver schien für seine Böswilligkeit bekannt. Ich muß einmal durchgreifen, Ordnung schaffen; die Leute wissen nicht, was andere leiden, sie haben noch nichts durchgemacht, aber nun muß einmal Ordnung geschaffen werden.[] Als wir beim Pulver ankamen, hatte der offenbar schon Angst bekomen u. einen Eimer Wasser hinaufgeschafft, zu dem sich nachher auch noch ein leeres Bierseidel anfand u. ein Nachttopf. Der Polizeimeister redete auf den Alten ein. Indem tauchte ein jüngerer * Mann auf, in Civil, ein Mordskerl, er muß irgendwelche Parteistellung innegehabt, irgendwelche stärkere Machtvollkomenheit als der sanftere Polizeimeister mit seinem Das wollen Christen sein besessen haben. Er schwenkte die Fäuste, brüllte fürchterlich auf den Alten ein. Ich verstand aus dem Dialektschwall nur immer wieder, jetzt sei das Maß voll u. In Schutzhaft laß ich Euch nehmen, in Schutzhaft! Dann zogen die beiden mit uns ab, der Brüller verschwand, der väterliche Polizeimeister führte uns zur Klosterwirtin, einem bescheideneren schon geschlossenen Lokal, dem Bürgermeisterhaus gegenüber, verhandelte dort in der Küche, während wir in der leeren Gaststube saßen, kam wieder, ob wir die Wurscht warm oder kalt wünschten – (wie es weniger Mühe macht) –, vertröstete uns auf morgen u. ging nach vielem Zuspruch. Im Haus hatte offenbar ein Schweinschlachten stattgefunden; wir wurden an Piskowitz erinnert. Die gutmütige Wirtin brachte uns eine solche Menge Blut- u. Leberwurst, daß wir noch am nächsten Tag davon zehrten, sie gab uns Brod, sie versprach uns Frühstück u. Mittag für den nächsten [Tag] sie hielt auch ihr Versprechen, ließ uns für alles ganz wenig bezahlen u. nahm uns keine einzige Marke ab. (Immer wieder bewegte mich das: der Bauer, der oberbayrische Mensch ist eine Lüge ... u. doch steckt in der Lüge irgendwo ein unentbehrliches Atom Wahrheit. Man muß vielleicht mit Ausnahme u. Regel, mit les extrêmes se touchent operieren.) Wir gingen in unser bösartiges Quartier zurück, * E. nahm aus der Bettlade den Strohsack, legte ihn für mich auf den Fußboden, legte sich in die harte Lade – Deckenzeug war genug für beide vorhanden – wir schliefen gut. Seitdem haben wir wenigstens jede Nacht ausgekleidet u. liegend schlafen können – ums Waschen ist es andauernd fragwürdigst bestellt, die Zähne habe ich mir das letztemal in Schwaitenkirchen geputzt.
     

 
    Am andern Morgen, Donnerstag d. 12. April , verließen wir die Pulverkamer, ohne uns nach den Leuten umzusehen, gingen zur Klosterwirtin u. dann hinüber zum Bürgermeister. Dort fand sich auch der Polizeimeister ein u. bald danach der Herr Kommissar vom Reichsumsiedlungsamt aus Kühbach, ein junger gut aussehender Mensch mit künstlicher rechter Hand, hochdeutsch sprechend, sehr höflich, nicht ohne eine gewisse Autorität. Ergebnis langer Beratung: Inchenhofen sei aussichtslos, Brief des * Kommissars Klein an das Landratsamt Aichach, um Mittag werde uns ein Militärauto dorthin zurückbringen. Aus Mittag wurde 15 h, aber dann durchfuhr das Auto in 15 Minuten, was wir in reichlichen 2 Stunden durchwandert hatten. Übrigens ein ängstliches Vergnügen, denn immer sind Tiefflieger unterwegs, u. ob das bißchen Tannentarnung hilft? Wir vertrieben uns die Zeit bis zum Abgang des Autos mit einem kleinen Spaziergang (fanden ein Lärchenwäldchen dicht beim Ort), nach dem Essen schlief E. den Kopf auf dem Tisch, u. ich über den unseligen * Lamprecht 1 gebückt, dessen erster Vortrag mir aber allmählich doch klar geworden ist. – In Aichach verhandelte E. wieder auf dem Amt u. kam mit drei Adressen beschlagnahmter Zimmer, von denen eines vielleicht passen würde.

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